Der Fall Holdt

Folge: 1034 | 5. November 2017 | Sender: NDR | Regie: Anne Zohra Berrached
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Angelehnt an den realen Heidenheimer Kriminalfall Maria Bögerl – und mit aller Konsequenz zum bitteren Ende geführt.

Auch in der Nähe von Walsrode, auf halber Strecke zwischen Hannover und Hamburg also, gibt es in diesem Tatort einen undurchsichtigen Entführungsfall: Zwei maskierte Täter kidnappen einleitend die titelgebende Julia Holdt (Annika Martens) und fordern von ihrem Mann Frank (Aljoscha Stadelmann, Spiel auf Zeit) ein Lösegeld in Höhe von 300.000 Euro. Weil der die Summe als Filialleiter der ortsansässigen Volksbank nicht selbst aufbringen kann, kontaktiert er seine Schwiegereltern Christian (Ernst Stötzner, Allmächtig) und Gudrun Rebenow (Hedi Kriegeskotte, Der irre Iwan), die gegen seinen Willen die Polizei einschalten – und so muss LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) auf ausdrücklichen Wunsch ihres Chefs in die niedersächsische Provinz ausrücken, um mit der vor Ort zuständigen Kollegin Frauke Schäfer (Susanne Bormann, Schön ist anders) die Ermittlungen zu leiten.

Regisseurin Anne Zohra Berrached setzt bei ihrem Debüt für die Krimireihe auf geballte Frauenpower – was nicht nur ihre Hauptdarstellerin freuen dürfte, die sich ein paar Monate vor der TV-Premiere des Films in einem Spiegel-Interview über den ungerechten Umgang mit Frauen im deutschen Fernsehen beklagte. Schäfer entspricht erfreulicherweise auch nicht dem im Niedersachsen-Tatort häufig vorherrschenden Klischee vom überforderten Landei, das von der scharfsinnigeren LKA-Kommissarin auf links gebügelt wird – vielmehr gibt sie ihrer labilen Vorgesetzten, die einleitend von drei Männern beim Urinieren auf einem Parkplatz gefilmt und brutal niedergeschlagen wird, ordentlich Kontra und fällt ihr sogar in den Rücken.


SCHÄFER:
Ich hab' kein Problem damit, hier die zweite Geige zu spielen, ja. Aber ich werde nicht länger zusehen, wie diese Frau die Ermittlungen gegen die Wand fährt. Ich muss hier mal die Notbremse ziehen.


Der Fall Holdt ist ein gelungenes, weil stark gespieltes und toll fotografiertes Krimidrama, das nach den aufregenden letzten Wochen mit einem amüsanten Münchner Porno-Tatort (Hardcore), einem sperrigen Stuttgarter History-Krimi (Der rote Schatten), einer anstrengenden Bremer Psychokiste (Zurück ins Licht) und einem gescheiterten Frankfurter Horror-Experiment (Fürchte dich) angenehm bodenständig ausfällt.

Regisseurin Berrached und Drehbuchautor Jan Braren arrangieren eine strukturell zwar etwas ungewöhnliche, aber atmosphärisch dichte und durchweg spannende Kreuzung aus klassischem Krimi und emotionalen Familiendrama, der ein etwas geringerer Fokus auf die Gefühlswelt seiner Ermittlerin allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte: Am Ende ist die 1034. Tatort-Ausgabe zugleich eine dieser Folgen aus Niedersachsen, bei denen das Seelenleben der LKA-Kommissarin mal wieder wichtiger zu sein scheint als alles andere.

Reizvoller als die Aufarbeitung des Lindholmschen Traumas, das man der sonst so toughen Polizeibeamtin angesichts ihrer jahrelangen Erfahrung an vorderster Front ohnehin kaum abkauft, wäre die konsequentere Zuspitzung der Konkurrenzsituation mit Schäfer gewesen, denn auch der regelmäßige Tadel ihres unter Druck stehenden Vorgesetzten Marc Kohlund (Stephan Grossmann, Amour fou) bringt kaum Brisanz in die Ermittlungsarbeit, weil dieser Konflikt im Tatort schon viel zu häufig erzählt wurde.

Anders als der unter dringendem Tatverdacht stehende Ehemann Frank kommt außerdem der Sohn der Entführten bei der Charakterzeichnung zu kurz: Jonas Holdt (Moritz Jahn) reist mit Verspätung an und darf dann vor allem apathisch aus der Wäsche schauen und ein paar Krokodilstränen in einer Videobotschaft an die Entführer verdrücken. Überhaupt schlägt das Herz dieses emotionalen Entführungsdramas direkt im Hause Holdt: Durch das kammerspielartige (und budgetschonende) Setting aus Wohnhaus und direkter Umgebung erinnert Der Fall Holdt inhaltlich wie ästhetisch an den fünf Wochen zurückliegenden Schwarzwald-Tatort Goldbach, in dem ebenfalls fast ausschließlich im Wald und in einem direkt angrenzenden Dörfchen nach einem vermissten Kind und einem Mörder gesucht wurde.

Im Hinblick auf die Auflösung ist der 25. Fall von Charlotte Lindholm aber nur mit wenigen Tatort-Folgen zu vergleichen: Nicht von ungefähr werden Erinnerungen an den rund ein Jahr zurückliegenden Münchner Ausnahmebeitrag Die Wahrheit wach, dessen Klasse Der Fall Holdt allerdings nicht ganz erreicht – was auch an seiner Vorhersehbarkeit liegt, die in erster Line aus dem sehr reduzierten Verdächtigenkreis und natürlich auch seiner realen Vorlage resultiert.

Bewertung: 7/10

3 Kommentare:

  1. Seit 15 Jahren sehe ich nur englische Krimis in der Originalversion. Gestern dachte ich spontan, ich könnte mal sehen, was mit meinem Rundfunkbeitrag so gemacht wird. €15.500 kostet das laut ARD beim Tatort pro Minute, also schlappe 1,4 Millionen Euro für die Sendung gestern.
    Das Ergebnis ist in keiner Hinsicht mit den englischsprachigen Krimis wie beispielsweise The Closer, Bosch, True Detectives, Major Crimes, Blue Bloods, Luther, Sherlock, Top of the Lake, Gracepoint, Rizzoli & Isles, The Killing, The Bridge vergleichbar. Das gilt für die schauspielerische Leistung, das Drehbuch und die Kameraarbeit. Das war der letzte Tatort, den ich in meinem Leben gesehen habe.

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    1. Apropos "in keiner Hinsicht vergleichbar", schau dir doch mal das Budget für die letzte Sherlock-Episode an:

      http://www.imdb.com/title/tt3845232/business?ref_=tt_dt_bus

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  2. LKA Ermitlerin = Zumutung! Prost Mahlzeit.

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