Fürchte dich

Folge: 1033 | 29. Oktober 2017 | Sender: HR | Regie: Andy Fetscher
Bild: HR/Benjamin Dernbecher
So war der Tatort:

Schaurig schlecht.

Was nicht allein daran liegt, dass der sechste Einsatz der Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) alles andere als ein gewöhnlicher Tatort ist: Fürchte dich ist ein waschechter Horrorfilm, der in der Krimireihe seinesgleichen sucht und erneut den Beweis dafür liefert, wie sehr der Hessische Rundfunk immer wieder darum bemüht ist, deren Grenzen mit seinen Beiträgen auszuloten.

Doch während diese Rechnung beim überragenden Meilenstein Im Schmerz geboren oder der selbstironischen Film-im-Film-Konstruktion Wer bin ich? wunderbar aufging, scheitert sie diesmal kolossal. Für einen schockierenden Horrorfilm ist Fürchte dich zu trashig und vorhersehbar – für eine Parodie hingegen nimmt Regisseur Andy Fetscher, der gemeinsam mit Christian Mackrodt auch das Drehbuch zum Film schrieb, die übernatürliche Geschichte viel zu ernst.

Der Auftakt ist noch am ehesten gelungen: Der aus dem Seniorenheim ausgebüxte Otto Schlien (Axel Werner, Kassensturz) will das Haus von Brix und seiner Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) in Brand stecken – wird aber in letzter Sekunde von einem Wesen aus der Dunkelheit von hinten gepackt und an der Tat gehindert. Später sind es knarrende Schaukelstühle, mysteriöse Geräusche auf dem Dachboden oder eine schreckliche Begegnung im Wasserdampf, die den Zuschauer das Fürchten lehren – wem die gewöhnliche Suspense-Dosis in öffentlich-rechtlichen Sonntagskrimis schon genug Nervenkitzel ist, der braucht hier Nerven wie Drahtseile.

Als der Geist, der sich in Brix' Wohnhaus eingenistet hat, aber irgendwann von Fannys Körper Besitz ergreift, verabschiedet sich der Film mit Volldampf in die unfreiwillige Komik: Während Janneke, Brix und Schliens Enkeltochter Merle (Luise Befort) in der Realität geerdet sind und der Geschichte durch ihre Nachforschungen den Anspruch auf Ernsthaftigkeit verleihen, stiefelt Fanny geistesabwesend – oder vielmehr: geistesanwesend – durch den dunklen Keller, pinselt kryptische Symbole an die Wände und verspeist genüsslich eine weiße Tennissocke, die ihr Janneke in den Mund gestopft hat. Das ist nicht gruselig, das ist nicht witzig – das ist einfach nur befremdlich.


FANNY:
Willst du deiner Urgroßmutter nicht ein Glas Wasser bringen?

MERLE:
Was?

FANNY:
Mein Hals ist von dieser unsäglichen Sportsocke völlig ausgetrocknet.


Wer sich in einem Tatort mit dem ausgiebigem Wildern im Haunted House-Genre anfreunden kann, kommt eine Zeit lang durchaus auf seine Kosten – wem das alles zu gruselig oder realitätsfern ist, der wird hingegen in Rekordzeit abschalten.

Für den ungewohnt schwachen Frankfurter Vorgänger Land in dieser Zeit erntete der HR bereits viel Kritik, die im Vergleich zu seinem außergewöhnlichen und gänzlich familieninkompatiblen Halloween-Beitrag allerdings nur ein laues Lüftchen ist: Mag man über den folgenreichen Verzehr eines Stücks Schwarzwälder Kirschtorte zwischenzeitlich noch schmunzeln, schießen die Filmemacher im Schlussdrittel komplett über ihr Ziel hinaus und lassen den 1033. Tatort jegliche Bodenhaftung verlieren.

Mit einem klassischen Tatort hat Fürchte dich kaum mehr zu tun als das parallel im ZDF laufende Herzkino, und so kommen am Ende weder die Tatort-Puristen noch die Horror-Fans auf ihre Kosten: Vor allem bei der Visualisierung einer Untoten wird das schmale Budget im Vergleich zu einer Kino-Produktion deutlich – und wenn Geister aussehen wie aus einer Geisterbahn, sind sie vielleicht auch besser dort aufgehoben. Anderswo wird mit abgegriffenen Jump Scares billige Effekthascherei betrieben oder uninspiriert bei Genre-Vorbildern abgekupfert: Eine furchterregende Frau auf dem Schrank kennen wir aus Conjuring, eine kotzende Todgeweihte aus Der Exorzist und das Vortasten im Dunkeln mit dem Blitzlicht einer Spiegelreflexkamera aus Saw.

Und dann gibt es da noch zwei Figuren, die ihre Daseinsberechtigung in diesem schrägen Horror-Krimi komplett schuldig bleiben: Darf der neue Vorgesetzte Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), der bei seinem irritierenden Debüt in Land in dieser Zeit beim Publikum sang- und klanglos durchfiel, gerade einmal sieben Sätze sagen, beschränkt sich Merles auffällig tätowierter Vater Lutz Schlien (Marko Dyrlich, Der sanfte Tod) auf animalische Laute und wahnhafte Zerstörungswut. Sein rätselhafter Auftritt ist das unrühmliche i-Tüpfelchen auf ein vielversprechend beginnendes, am Ende aber grandios gescheitertes Tatort-Experiment – von denen es zukünftig nur noch zwei im Jahr geben soll, wie die ARD kurz vor der TV-Premiere des Films bekannt gab. Zufall?

Bewertung: 2/10

Zurück ins Licht

Folge: 1032 | 22. Oktober 2017 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen
So war der Tatort:

Selbsam.

Denn bei ihrem vierten Auftritt wirbelt BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) den Tatort aus Bremen erneut nach allen Regeln der Kunst durcheinander: Erst drückt sie dem verdutzten Gerichtsmediziner Dr. Katzmann (Matthias Brenner) einen Spontankuss auf, dann integriert sie irritierende Verkleidungs- und Schaukampfrituale in ihr Sexleben mit dem angemessen überraschten Hauptkommissar Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) – und am Morgen danach gesteht sie ihm neben dem One-Night-Stand mit einer Frau auch den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind.

Klingt ziemlich verrückt, und das ist es in der Tat: Zurück ins Licht ist der beste Beweis dafür, wie nah Licht und Schatten im Fadenkreuzkrimi aus dem kleinsten deutschen Bundesland seit Jahren beieinander liegen. Herausragenden Thrillern wie Brüder oder sensiblen Familiendramen wie Die Wiederkehr standen unfreiwillig komische Psychokisten wie Ordnung im Lot oder Er wird töten gegenüber – und leider fällt der 16. Tatort von Regisseur Florian Baxmeyer, der zuletzt die tolle Folge Nachtsicht inszenierte, eindeutig in die zweite Kategorie.

Wie schon in Er wird töten steht erneut eine psychisch labile Frau im Mittelpunkt: Die Pharmareferentin Maria Voss (Nadeshda Brennicke, Rendezvous mit dem Tod) hat sich nach einem Autounfall Zurück ins Licht gekämpft – steht nun aber unter Mordverdacht, weil sie in Kontakt zum ermordeten Pharmahändler Ole Bergener stand, dessen Leiche Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihre Kollegen aus der Weser ziehen. Voss klingt von Beginn an wie auf Drogen und gibt regelmäßig schräge Esoterik-Selbstgespräche zum Besten, die einer verwirrten Psychopathin deutlich besser zu Gesicht gestanden hätten als der toughen Karrierefrau, die sie zu sein vorgibt. Und auch sie hat ein Auge auf Stedefreund geworfen.


VOSS:
Willst du mit mir schlafen? Ist jetzt ganz ungünstig, ich hab morgen um 11 einen wichtigen Termin.


Vielleicht gaben Sabine Postel und Oliver Mommsen ihren Ausstieg aus der Krimireihe nicht von ungefähr nach den Dreharbeiten zu Zurück ins Licht bekannt: Der 1032. Tatort wartet zwar mit mutigen Dialogen auf, zählt aber zu den schwächsten und kuriosesten Krimis, die je an der Weser entstanden.

Man muss schon kürbisgroße Tomaten auf den Augen haben, um nicht zu bemerken, dass mit Voss etwas nicht stimmt – der Twist nach einer guten Stunde dürfte allenfalls die Kommissare überraschen und auch ihr Verhältnis zum Pharmahändler Carl Bellheim (Jörg Pose, Fünf Minuten Himmel) erklärt sich nach einem spontanen Handjob von selbst. Sorgte der in der Pornoszene spielende Münchner Tatort Hardcore zwei Wochen zuvor für laute Proteste, geht es mit der Freizügigkeit in Bremen munter weiter: "Zum Schluss war es lustig, wenn Porno-Mommsen nur im Bademantel und mit Adiletten zum Set kam", ließ der nackt zu sehende Hauptdarsteller in einem Interview verlauten, und auch die Witwe Judith Bergener (Victoria Fleer) und Voss' Ex-Mann Peter Kappeler (Nicki von Tempelhoff, Schattenlos) fallen ohne Umschweife übereinander her.

Der Fall rückt oft in den Hintergrund, doch den schablonenhaften Figuren fehlt es auch am Unterbau: Warum zum Beispiel Kappeler plötzlich wieder von seiner Ex-Frau fasziniert ist und seine deutliche aufgewecktere Tochter Lotte (Emma Drogunova, Wir - Ihr - Sie) sogar zum Mittagessen mit ihr nötigt, bleibt vollkommen nebulös. Während Stedefreund und Selb mit sich selbst beschäftigt sind, bildet Lürsen den Ruhepol in diesem überambitionierten Psychothriller, bleibt aber die einzige Hauptfigur, deren Handeln uneingeschränkt nachvollziehbar ist.

Handwerklich birgt Zurück ins Licht, in dem die Drehbuchautoren Christian Jeltsch (Der hundertste Affe) und Olaf Kraemer ihre Ich-kämpfe-mich-zurück-ins-Leben-Geschichte mit einem halbgar ausgearbeiteten und alles andere als glaubwürdigen Pharmabetrug kombinieren, zudem erhebliche Schwächen: Bis zum Schluss sucht man den einheitlichen Erzählton vergeblich, denn seltsame Dialoge und ironisch angehauchte Provokationen wechseln sich pausenlos mit nachdenklichen Sequenzen ab.

Auch die Inszenierung wirkt künstlich und wird bisweilen vom Soundtrack konterkariert: Ein wummernder Beat erzeugt bei Tatort-Besichtigungen noch lange keine Dynamik – und die plötzlich aufjaulenden Chöre, die kurz nach der Auflösung noch schnell Dramatik in den Film singen sollen, hätten auch die Schlacht um Mittelerde im Fantasy-Epos Der Herr der Ringe angemessen vertont.

So tragisch ist der Abschied von Linda Selb, die hier nur vermeintlich zum letzten Mal im Bremer Tatort zu sehen ist, dann allerdings doch nicht.


STEDEFREUND:
Linda, wer bist du? Wer bist du wirklich?

SELB:
Ich bin viele.

STEDEFREUND:
Sind vielleicht 'n bisschen viele für mich.

SELB:
Leb wohl.


Bewertung: 2/10

Der rote Schatten

Folge: 1031 | 15. Oktober 2017 | Sender: SWR | Regie: Dominik Graf
Bild: SWR/Sabine Hackenberg
So war der Tatort:

Verschwörungstheoretisch.

Denn Regisseur Dominik Graf (Frau Bu lacht) schlägt in seinem vierten Tatort den Bogen zum vierzig Jahre zurückliegenden Deutschen Herbst: In der Nacht zum 18. Oktober 1977 nahmen sich die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der JVA in Stuttgart-Stammheim das Leben, ihre Mitstreiterin Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Wenige Stunden zuvor hatte das GSG-9-Kommando die entführte Lufthansa-Maschine "Landshut" befreit – die RAF antwortete mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer.

Zur Todesnacht in Stammheim hat Graf seine ganz eigene Theorie parat, die in krassem Widerspruch zur offiziellen Version steht: War es womöglich kein Selbstmord, sondern gezielt vertuschter Mord? Die Denkanstöße des zehnfachen Grimme-Preisträgers, der das Drehbuch zu Der rote Schatten gemeinsam mit Raul Grothe schrieb, bieten Futter für kontroverse Diskussionen, denn die damaligen Schlampereien werden in seinem sperrigen Politthriller schonungslos aufgearbeitet.

Dank der authentischen Inszenierung verwischen dabei oft die Grenzen zwischen Realität und Fiktion: Dokumentarisches Material wie den Hilferuf des entführten Schleyer oder die Verhaftung von Baader & Co. kombiniert Graf mit nachgedrehten 70er-Jahre-Szenen und streut diese regelmäßig in das Geschehen im Hier und Jetzt ein.

Den Generationsunterschied spiegelt der Filmemacher in den Stuttgarter Hauptkommissaren: Während Thorsten Lannert (Richy Müller) die Ideologie der RAF in ihren Grundzügen geteilt und Gudrun Ensslin sogar in einer WG kennengelernt hat (wie uns der Schauspieler bereits vorab im Interview verriet), kennt Sebastian Bootz (Felix Klare) den "Krieg der Kinder gegen ihre Väter" nur aus den Medien und wird so für das jüngere TV-Publikum zur Identifikationsfigur.


LANNERT:
Worum uns die RAF gebracht hat, war die Neugier. Und die Sehnsucht, die damals herrschte, politisch und gesellschaftlich. Die haben sie weggebombt.


Der rote Schatten ist ein mutiger und unbedingt sehenswerter, allerdings auch stark überfrachteter Tatort, denn das 90-minütige Korsett der Krimireihe engt den Film spürbar ein: Nicht von ungefähr hat Graf einen zehn Minuten längeren Director’s Cut schneiden lassen, auf den das TV-Publikum aber (zunächst) verzichten muss.

Wer sich auf einen klassischen Krimi nach altbewährtem Schema gefreut hat, dürfte früh die Lust an diesem komplexen Politthriller verlieren, dabei verlangt Graf dem Zuschauer weniger ab als sonst: Anders als im umstrittenen Vorgänger Aus der Tiefe der Zeit verzichtet der Filmemacher auf inszenatorische Fingerübungen und das für ihn typische, oft anstrengend hohe Erzähltempo, das im Vergleich zum normalen Tempo im Tatort aber immer noch sehr sportlich ausfällt.

Neben der Aufarbeitung der RAF-Todesnacht, die vor allem Lannert vorantreibt, will ja schließlich auch noch ein Mordfall in der Gegenwart gelöst werden: Die Kommissare finden einleitend im Kofferraum von Christoph Heider (Oliver Reinhard, Im Alleingang) die Leiche seiner Ex-Frau Marianne, die in ihrer Badewanne ums Leben gekommen ist. Hier stellt sich dieselbe Frage wie in Stammheim: Gezielter Mord oder Selbstmord?

Ins Visier der Ermittler gerät neben Tochter Luisa (überzeugendes Debüt: Leonie Nonnenmacher) auch Heiders Freund Wilhelm Jordan (glänzend: Hannes Jaenicke, Atemnot), der von ihrer Lebensversicherung profitieren würde. Über den abgehalfterten Zocker, der früher als V-Mann in höchsten RAF-Kreisen tätig war und die gesuchte Terroristin Astrid Frühwein (eiskalt: Heike Trinker, Erfroren) in seiner Gartenlaube versteckt, wird der titelgebende lange Schatten der Stammheimer Schreckensnacht mit der Gegenwart und dem realen Kampf gegen die RAF verknüpft – die hat sich zwar 1998 offiziell aufgelöst, beschäftigt Oberstaatsanwalt Lutz (Friedrich Mücke, spielte zweimal den Hauptkommissar Henry Funck im Tatort aus Erfurt) und damit auch Staatsanwältin Emilia Alvarez (zeigt sich einleitend nackt: Carolina Vera) aber noch immer.

Zwar ist die Täterfrage im Hinblick auf Heiders rätselhaften Tod früh beantwortet, doch bleibt sie nicht die letzte Leiche, so dass der Spannungsbogen nie in den Keller fällt und bei der etwas hektisch zusammengeschusterten Auflösung wie gewohnt mitgerätselt werden darf. Der Konflikt zwischen der Kripo, der Staatsanwaltschaft und einer ihr übergeordneten Behörde (hier: der Verfassungsschutz) wurde in der Krimireihe aber schon ein paar Mal zu häufig erzählt, als dass diese Machtspielchen noch wirklich mitreißen würden.

Bewertung: 7/10

Hardcore

Folge: 1030 | 8. Oktober 2017 | Sender: BR | Regie: Philip Koch
Bild: BR/Hagen Keller
So war der Tatort:

Pornös.

Denn Regisseur Philip Koch, der nach dem Meilenstein Der Tod ist unser ganzes Leben zum zweiten Mal für einen Tatort aus München am Ruder sitzt und das Drehbuch zu Hardcore gemeinsam mit Bartosz Grudziecki schrieb, entführt seine Zuschauer in eine Welt, die nur den wenigsten bekannt sein dürfte: in die Welt der deutschen Pornoindustrie. Deren Herz schlug schon in den 70er Jahren – man denke an Sexfilmchen wie Liebesgrüße aus der Lederhos'n – in München und hat sich durch das Internet extrem gewandelt: Wer vor Jahren dank geringer Produktionskosten und hoher Nachfrage noch den großen Reibach gemacht hat, kann sich heute kaum noch über Wasser halten.

Diese Erfahrung müssen in dieser Tatort-Folge auch der von Markus Hering (Am Ende geht man nackt) gespielte Produzent Sam Jordan ("Ich bin der Cumshot-König!") und sein von Frederic Linkemann gespielter Rivale Olli Hauer ("Nee, sorry, ich mach keine MILFs!") machen, die in beruflicher Beziehung zum Opfer standen: In den leeren Studioräumen über einem Kaufhaus finden die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) die erdrosselte Marie Wagner (Helen Barke) – und neben ihr ein Planschbecken mit einer übel riechenden Brühe aus Körperflüssigkeiten wie Sperma und Urin. Unter dem Künstlernamen Luna Pink war Wagner ein Star der Amateurporno-Szene – und weil bei ihrem letzten Bukkake-Dreh zwei Dutzend Männer in ihrem Mund abgespritzt haben, reduziert sich der Kreis der männlichen Verdächtigen zunächst auf eben jene.

Zum Leidwesen der mit der Sichtung des Drehmaterials beauftragten Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Ritschy Semmler (Stefan Betz) trugen sie aber allesamt Masken – was die Auflösung der Täterfrage erheblich erschwert.


LEITMAYR:
Wir suchen jetzt einen Mann mit zwei Armen, zwei Beinen und einem eher... joa... unterdurchschnittlich großen... Glied.

BATIC:
Das trifft auf halb München zu.


Wer Berührungsängste mit den Themen Sex und Pornografie mitbringt, dürfte schnell die Lust an diesem tabulosen Krimi verlieren, doch alle anderen Zuschauer dürften auf ihre Kosten kommen: Vor allem der trockene und meist nicht jugendfreie Dialogwitz macht den hohen Unterhaltungswert der 1030. Tatort-Folge aus.

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Protagonisten vor und hinter der Kamera, was zu köstlicher Situationskomik führt: Bei einem Besuch am Set beispielsweise diskutiert Leitmayr wie selbstverständlich mit zwei Darstellern über geldwerte Steuervorteile, während die beiden am Catering ihre Erektion am Leben erhalten und eine intimrasierte Creampie-Expertin den verdutzten Batic über lukrative Porno-Praktiken aufklärt.

In einem Tatort aus Köln oder einem Tatort aus Luzern wären Szenen wie diese wohl ziemlich verkrampft ausgefallen, doch an der Isar wirkt alles wunderbar natürlich: Nie gerät das Geschehen zu albern, und auch die Moralkeule und der Erklärbär bleiben in der Regel außen vor. Wer mit Begriffen wie Cumshot und Abkürzungen wie ATM oder DP nichts anfangen kann, wird nicht alle Dialoge verstehen – ist damit aber nicht allein, weil auch die Kommissare trotz ihres soliden Grundwissens nicht jeden Terminus kennen.

Explizites Material sendet die ARD selbstredend nicht: Obwohl blanke Brüste und schlaffe Penisse durchs Bild wippen und die Pornografie omnipräsent ist, wird das titelgebende Hardcore-Material nie im Detail eingefangen. Stattdessen gerät schon der Auftakt zur kunstvollen Ouvertüre: Zu den Klängen von Henry Purcells What Power Art Thou stolziert die mit einem Bikini bekleidete Wagner in Zeitlupe gen Planschbecken, um plötzlich vor dem Zuschauer in die Knie zu gehen und ihm direkt in die Augen zu blicken.

Dieses gekonnte Spiel mit dem Voyeurismus des Zuschauers bleibt nicht die einzige visuelle Fingerübung, doch im Hinblick auf die Figuren offenbart der Krimi Schwächen: Dass die Ermordete die Tochter des Oberstaatsanwalt Rudolf Kysela (Götz Schulte) ist, sorgt kaum für zusätzliche Brisanz – ein anderer in der Öffentlichkeit stehender Bürger hätte für die Geschichte kaum schlechter funktioniert.

Bei der Charakterzeichnung zu kurz kommen Schlüsselfigur und Ex-Pornodarstellerin Stella Harms (Luise Heyer, Taxi nach Leipzig) und vor allem ihr Mann Markus (Golo Euler, Im Schmerz geboren), während im Hinblick auf die Porno-Produzenten fleißig Klischees bedient werden. Das Ganze wird aber mit entwaffnendem Humor und tollen One-Linern aufgefangen – und so ist Hardcore nicht nur ein freizügiger, sondern auch ein amüsanter und origineller Krimi, der bei erzkonservativen Zuschauern natürlich für Empörung sorgt.

Bewertung: 7/10

Goldbach

Folge: 1029 | 1. Oktober 2017 | Sender: SWR | Regie: Robert Thalheim
Bild: SWR/Alexander Kluge
So war der Tatort:

Kurzfristig umbesetzt.

Denn eigentlich hatte der SWR für den ersten Schwarzwald-Tatort einen echten PR-Coup gelandet: Late-Night-Talker Harald Schmidt sagte dem Sender im Dezember 2015 für den Nachfolger des Tatort aus Konstanz zu. Doch aus der geplanten Rolle als Kriminaloberrat Gernot Schöllhammer wurde nichts, denn zwei Wochen vor dem Drehstart zu Goldbach folgte aus heiterem Himmel die Rolle rückwärts: Schmidt sagte im März 2017 aus persönlichen Gründen ab und eröffnete Spekulationen über zu hohe Gagenforderungen und gesundheitliche Probleme.

Die aus der Not geborene Last-Minute-Neubesetzung ging fast unter: Steffi Kühnert (Zirkuskind) sprang ein und ist als Kripochefin Cornelia Harms nun dauerhaft an der Seite der Freiburger Hauptkommissare Franziska Tobler (Eva Löbau, Der glückliche Tod) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner, Auf ewig Dein) zu sehen. Man kann sich ausmalen, wieviele Hebel der SWR kurzfristig für den Einbau einer komplett neuen Figur in Bewegung setzten musste – doch Regisseur Robert Thalheim und Drehbuchautor Bernd Lange (Neuland) gelingt es, Harms genauso gut in die Geschichte integrieren wie die Kommissare.

Die werden zwar (noch) nicht mit nennenswertem Privatleben ausgestattet, bekommen dafür aber eine stimmige Kreuzung aus klassischem Whodunit und einem Vermisstenfall serviert: Nahe des kleinen Schwarzwald-Örtchens Goldbach wird die Leiche der elfjährigen Frieda (Alexa Luna Tröndle) gefunden - und während ihr Freund Paul (Aaron Kissiov), der mit ihr im Wald gespielt hatte, wohlbehalten zurückkehrt und nichts bemerkt haben will, bleibt sein bester Kumpel Linus (Oskar von Schönfels) verschwunden.

Da die Ermittler am Tatort ein verstecktes Waffenarsenal finden, führt die Spur nicht nur in die Idylle des Dörfchens, sondern auch ins Darknet, das sich 2017 weiterhin großer Beliebtheit in der Krimireihe erfreut (vgl. Fangschuss, Borowski und das dunkle Netz).


BERG:
Die bestellen sich Kompakt-MGs wie Druckerpatronen.


Goldbach ist ein stark gespieltes und überzeugend arrangiertes Krimidrama, denn der Zuschauer darf gleichzeitig über das Schicksal von Linus rätseln und für sich die Frage beantworten, was sich im Wald wohl zugetragen hat: Welches Geheimnis trägt Paul mit sich herum und welche Rolle spielt Waffenhersteller Stefan Pfeiffer (Christian Heller, Der Inder), der Verbindungen in die Politik hält?

Zumindest eine, die wir zum Beispiel im Tatort aus Luzern oder im Tatort aus Wien schon oft gesehen haben: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kripochefin Harms in die Ermittlungen grätscht, weil Landesregierung und Wirtschaft ja verärgert werden könnten.

Dieser Ausflug in Richtung Politthriller bringt den Krimi aber kaum voran: Besser wären die Sendeminuten in eine etwas schärfere Skizzierung der zunehmend zerstrittenen Nachbarn und Eltern der drei in die Tat involvierten Kinder investiert gewesen, die sich gegenseitig für die Tragödie verantwortlich machen. Während für Friedas Eltern Jens (Godehard Giese, Kalter Engel) und Barbara Reutter (Victoria Mayer, Satisfaktion) eine Welt zusammenbricht, versuchen Klaus (Felix Schmidt-Knopp, Zahltag) und Steffi Buchwald (Isabella Bartdorff) ihren schweigsamen Sohn Paul auszuquetschen. Martin Benzinger (Shenja Lacher, Im Schmerz geboren) und seine Frau Nicole (Odine Johne, Stau) hingegen wissen nicht mal, ob ihr vermisster Linus je zurückkehrt.

Bei der Freilegung der zwischenmenschlichen Spannungen hat der 1029. Tatort seine stärksten Momente, aber der Film überzeugt auch ästhetisch: Schon die erste Einstellung – ein langes Panorama der verschneiten Bäume, durch die der tödliche Schuss hallt - macht deutlich, dass im neuen SWR-Tatort der Schwarzwald der Star ist.

Der Fokus auf dessen Natur zieht sich ebenso wie ein roter Faden durch den Tatort wie der tolle düstere Klangteppich, während Verfolgungsjagden über Stock und Stein und die Indiziensuche im Unterholz in der Krimireihe eine willkommene Abwechslung bieten (ähnlich provinziell geht es meist nur im Tatort aus Österreich oder im Tatort aus Niedersachsen zu). Hier offenbart sich auch die Nähe zu Skandinavien-Krimis, mit denen das Debüt von Tobler und Berg in Sachen Spannung und Gruselfaktor aber nicht ganz mithalten kann: Vor allem im Mittelteil schleichen sich einige Längen in die Handlung ein. Dennoch ist Goldbach eine gelungene und atmosphärisch unheimlich dichte Premiere – wenn auch mit einer vorhersehbaren Auflösung.

Bewertung: 7/10