Amour fou

Folge: 1023 | 5. Juni 2017 | Sender: rbb | Regie: Vanessa Jopp
Bild: rbb/Andrea Hansen
So war der Tatort:

Hintergründig.

Denn schon lange hat sich kein Tatort mehr so viel Zeit genommen für die Umgebung, in der die Beteiligten aufeinanderprallen: Trotz des Titels, der thematisch an den letzten Münchner Tatort Die Liebe, ein seltsames Spiel anknüpft, verliert sich Amour fou nicht in einem Bäumchen-Wechsel-Dich der freien Liebe, sondern geht den Umständen auf den Grund, die Menschen miteinander verbinden und bei denen ein Mord manchmal als Nebenprodukt mit herauskommt. Mehr noch, das Krimidrama beleuchtet die Auswirkungen, die ein Mord auf die Verantwortlichen hat.

Während der Zuschauer es gewohnt ist, die Spannung zwischen gezeigter Tat am Anfang der Sendezeit bis zur Auflösung auszuhalten, wird uns selten gezeigt, wie die in die Tat Involvierten diesen Prozess miterleben: Auch für sie ist zwischen dem Tod eines Menschen und der Aufklärung durch die Berliner Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) alles in der Schwebe. Für diese Schwebe findet Regisseurin Vanessa Jopp (Der schwarze Troll), die mit Meret Becker bereits einen der besten Berlin-Filme, Komm näher, gedreht hat, eine Form, die Fragen weit über das übliche "Wer war es?" hinaus stellt.

Das Tempelhofer Feld ist der Ruhepol, zu dem der 1023. Tatort immer wieder in langen Bildern ohne Dialoge zurückkommt (herausragende Kamera: Judith Kaufmann, Wem Ehre gebührt). Aber der Tatort hält sich nicht auf mit dem Freiraum auf dem Feld, den jeder füllen kann, wie er möchte, sondern konzentriert sich auf den Culture Clash zwischen den Hochhäusern der Rollbergsiedlung und großbürgerlichen Prunk-Altbauten und führt die Kommissare schön an ihre Grenzen. Lediglich Spurensicherer Knut Jansen (Daniel Krauss), der in einem Laubengarten die schwarze Brandleiche des homosexuellen Gesamtschullehrers Enno Schopper untersuchen muss, kann kulturell mit der Bildungselite mithalten.


JANSEN:
Machst'n Schild dran, schickst es zur documenta: Der Mann im Plastikliegestuhl.


Eigentlich muss man diesen Tatort zwei Mal schauen, weil er geschickt die Fragen hinter den Fragen des Mordfalls verschiebt.

Die komplexe Erzählstruktur kann man einem erstklassigen Schauspieler wie Jens Harzer (Es lebe der Tod) getrost anvertrauen: Er verkörpert grandios Armin Berlow, den Ehemann des getöteten Lehrers. Sein hintergründiges Spiel eröffnet einen Raum für die Facetten der Trauer, der schwulen Normalität im Problemkiez, der den Kontext des Mordfalls weit überschreitet. Dieser ist jedoch mit zahlreichen Windungen und Wendungen, die Drehbuchautor Christoph Darnstädt (schrieb zuletzt die Bücher zu vier Hamburger Tatort-Folgen mit Tschiller und Gümer) geschickt um das Thema Vorurteile arrangiert hat, ebenfalls sorgfältig gebaut – wenngleich sie dazu führen, dass der Plot in den letzten Minuten etwas überladen wirkt.

Nach grandiosen 70 Minuten voller lebendiger Großstadt-Impressionen und einer Meditation über Gefühle, Abhängigkeiten und Lebensentwürfe – nicht zuletzt auch in der Chancenungleichheit, die es in einem reichen Land wie Deutschland immer noch gibt – bekommt die Auflösung in ihren verstricken Motiven etwas zu wenig Ruhe und Raum.

Neben dieser feinteiligen Handlung verblasst die eingependelte Kabbelei von Rubin und Karow etwas, weil sie ohne die Motivation der in Dunkelfeld abgeschlossenen Ermittlungen wegen seines getöteten Ex-Partners auf der Stelle tritt. Weiterhin sind die beiden per Sie, weiterhin pflegen sie ihre Unstimmigkeiten – Rubin in ihrer wiederaufgewärmten Ehe, Karow in sexuellen Eskapaden, die gerne auch im Präsidium und im Umfeld der Mordermittlungen ihren Ausgang nehmen.

Beide haben gelernt, abends früher zu gehen und laden die Recherchearbeit bei der eifrigen Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow) ab – sieht man von Karows neuer Lieblingsmethode, dem Luminoltest, einmal ab, mit dem dieser Tatort seinen kriminaltechnisch volkspädagogischen Auftrag erfüllt. Der Status quo der Ehe von Nina und Viktor Rubin (Alexander Tesla) hingegen dient diesmal in erster Linie als Vergleichsmoment dafür, dass in der heteronormalen Ehe auch nicht unbedingt die große Liebe blühen muss.

Trotz der genannten Schwächen ist Amour fou aber ein starker, nachdenklicher Tatort mit herausragenden Schauspielern und einer pfiffigen Schlusswendung - die durch die verträumten Klänge von Charles Trenets La Mer, den französischen Krimititel und ein paar unauffällig eingeflochtene Bilder rauschender Brandungswellen elegant angedeutet wird.

Bewertung: 8/10


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen