Tanzmariechen

Folge: 1011 | 19. Februar 2017 | Sender: WDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Karnevalistisch.

Denn Tanzmariechen spielt kurz vor Beginn der sprichwörtlichen fünften Jahreszeit: Ganz Köln ist im Karnevalsfieber und freut sich auf den 11. November, an dem das jecke Treiben endlich wieder losgeht. Ganz Köln?

Nein. Ein einsamer Beamter wagt es, den kostümierten Narren Widerstand zu leisten: Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt), der sich schon 1999 im Tatort Restrisiko als Karnevalsmuffel outete und ein Jahr später in der Crossover-Folge Quartett in Leipzig vom Leipziger Kollegen Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) trotzdem als "Karnevalist" bezeichnet wurde, kann dem Ganzen herzlich wenig abgewinnen und würde die Stadt wohl am liebsten direkt verlassen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Freddy Schenk (Dietmar Bär) muss er allerdings einen Mordfall aufklären: Im Karnevalsverein "De Jecke Aape" wird die strenge Tanztrainerin Elke Schetter (Katja Heinrich, Die chinesische Prinzessin) tot aufgefunden.

Und da gibt es noch einen weiteren Aufreger, der eigentlich gar keiner ist: +++ Küsse im Polizei-Präsidium sorgen für Aufregung +++ titelte die ARD auf ihrer Tatort-Homepage, dabei sind die Ermittler doch sichtbar um Deeskalation bemüht: Assistent Tobias Reisser (Patrick Abozen) und sein Freund David Mühlberger (Marc Rissmann) lassen sich im Büro zu einem eher flüchtigen als leidenschaftlichen Küsschen hinreißen – was vor Jahrzehnten vielleicht noch für einen Aufschrei in den heimischen Fernsehsesseln gesorgt hätte, ist 2017 längst selbstverständlich. Und wirkt in diesem Tatort doch seltsam verkrampft: Vor allem Schenk, bei dem ein Zombiekostüm-Wunsch seiner offenbar namenlosen Enkeltochter eine mittelschwere Sinnkrise auslöst, kann gar nicht oft genug betonen, dass er damit überhaupt kein Problem hat.


SCHENK:
Mir ist das egal, wer wen, wann, wo, wieso oder wohin küsst. Das ist aber nicht jedem hier im Präsidium egal. Leider.


Wen Schenk damit meint, bleibt sein Geheimnis, und überhaupt: Sein ewiges Schwingen der Toleranzkeule mündet in den exakt gegenteiligen Effekt. Denn je häufiger sich der Oldtimer-Fan entspannt und verständnisvoll gibt, desto aufgesetzter wirkt die Sache.

Das gilt auch für den rheinländischen Dialekt, den der tatverdächtige Karnevalsfreak Rainer Pösel (Tristan Seith, Mord auf Langeoog) und seine Frau Martina (stark: Milena Dreissig, Die robuste Roswita) sprechen: Der bemühte Zungenschlag des Ehepaars, das kurz vor dem Tod der Tanzlehrerin den Selbstmord seiner Tochter Evelyn (Stella Holzapfel) hinnehmen musste, konterkariert die vermeintliche Karnevalsbegeisterung schon fast.

Die übrigen Charaktere fallen nicht überzeugender aus: Regisseur Thomas Jauch (Zahltag) und Drehbuchautor Jürgen Werner (Wacht am Rhein) verrichten mit wandelnden Klischees, einer am Reißbrett entworfenen Geschichte und einer routinierten Inszenierung diesmal nur Dienst nach Vorschrift. Neben der strengen Tanzlehrerin Schetter und dem realitätsverleugnenden Karnevalisten Pösel, der seinen bedauernswerten Sohn Paul (Luke Piplies) zum Herunterstammeln einer Büttenrede nötigt, gibt es da noch den großkotzigen Vereinsmäzen Günther Kowatsch (souverän: Herbert Knaup, Freigang), der mit der viel zu jungen Annika (Natalia Rudziewicz, Blutschuld) anbandelt, und Saskia (Sinja Dieks, Blackout), das zickige Tanzmariechen in spé, das beim knallharten Konkurrenzkampf keine Verwandten kennt – alles schon dutzende Male gesehen.

Ähnlich wie die westfälischen Kollegen Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) in Ein Fuß kommt selten allein legen die Kommissare nach und nach das Innenleben der Tanztruppe frei, das sich ebenfalls so gestaltet, wie man es sich vorstellen würde: Der Zickenkrieg fordert in bester Germany’s Next Top Model-Manier Tränen, während sich Ballauf und Schenk von einem Dialog zum nächsten hangeln und mühsam mit dem Thema Cybermobbing auseinandersetzen, für das sie vielleicht einfach ein paar Jährchen zu alt sind.

Dramatisch wird es in erst in den Schlussminuten, und auch die Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion dürfte alten Krimihasen kaum mehr als ein müdes Lächeln abringen. Trotz des Lokalkolorits ist Tanzmariechen daher kein großer Wurf und schon am Aschermittwoch wieder vergessen.

Bewertung: 5/10

Wie hieß die Selbstmörderin doch gleich?

6 Kommentare:

  1. Tristan Seith, super gespielt. Könnte als Sohn oder Nachfolger vom großen Mario Adolf "durchgehen".

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  2. Also ich glaube nicht, dass sie sich hier in dem Tatort auf den 11.11. freuen, sondern viel eher auf den eigentlichen Karneval. Oder spielt der Tatort doch im November?

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    1. Der Tatort spielt im November, steht auch so auf der Tatort-Homepage:

      http://www.daserste.de/unterhaltung/krimi/tatort/sendung/tanzmariechen-100.html

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  3. DER TATORT BEDIENT DAS BERÜHMTE KLISCHEE,DASS AM SELBSTMORD VON KINDERN UND JUGENDLICHEN DIE ELTERN UND DIE ERZIEHUNG OFT SCHULD SIND.........
    WIE FÜHLEN SICH WOHL ELTERN ,DEREN KINDER EINEN SUIZID BEGANGEN HABEN UND DIE SOWIESO SCHON VOM LEBEN GESTRAFT WORDEN SIND NACH SO EINER SENDUNG?

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  4. Das Klischee dass das Elternhaus und die Erziehung an dem Suizid eines Jugendlichen schuld sind,wird hier bedient.
    Wie müssen sich betroffene Eltern nach so einer Sendung fühlen,sind sie doch vom Leben schon gestraft genug,dass sie ihr kind verloren haben

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  5. Und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, woher ich die Martina (Ehefrau gespielt von Milena Dreissig) kenne...
    Hätte ich gleich draufkommen müssen ... also nicht auf das Schirmchen
    *hüstelndeslachenwieberndstromberg*

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