Feierstunde

Folge: 994 | 25. September 2016 | Sender: WDR | Regie: Lars Jessen
Bild: WDR/Wolfgang Ennenbach
So war der Tatort:

Klamaukfrei.

Bei den TV-Kritikern hatte es der Tatort aus Münster, der in der Publikumsgunst konkurrenzlos an der Spitze der Krimireihe liegt, in den Jahren zuvor nicht leicht: Peinlichen Klamotten wie Das Wunder von Wolbeck folgten zwar auch geglücktere Krimikomödien wie Schwanensee, doch wenn es wie in Die chinesische Prinzessin mal ernster wurde, offenbarten die Drehbücher erhebliche Schwächen. Beim 30. Einsatz von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) geht es ähnlich witzlos zu, denn Drehbuchautorin Elke Schuch (Borowski und die heile Welt) verzichtet in Feierstunde auf Klamauk und Slapstick und lässt die Zuschauer stattdessen um Boernes Überleben zittern.

Schon nach zwei Minuten brennen Harald Götz (Peter Jordan, mimte von 2008 bis 2012 Cenk Batu-Chef Uwe Kohnau im Hamburger Tatort), der bei einem Fördermittelentscheid in Millionenhöhe das Nachsehen gegenüber Boerne hat, die Sicherungen durch: Der verbitterte Juniorprofessor, dessen ALS-kranke Frau sich mit einer im Internet (!) bestellten Pumpgun (!) das Gesicht weggeblasen hat, streckt den Forensiker auf dessen eigener Dankesrede mit zwei Schüssen in Brust und Bauch nieder. Hoppla!

Wer sich auf eine seichte Schmunzelkomödie im Stile von Mord ist die beste Medizin oder Erkläre Chimäre gefreut hat, dürfte früh die Lust am 994. Tatort verlieren, denn auch im weiteren Verlauf wird das Nervenkostüm des Publikums nicht geschont: Die brutale Auftaktsequenz entpuppt sich zwar als blutige Rachephantasie, doch als Boerne später mit zwei Dutzend geladenen Gästen – unter ihnen Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) – in einer Gaststätte feiern will, sprengt der psychopathische Götz die Feierstunde. Dass das übel enden könnte, weiß auch die undurchsichtige Psychologin Dr. Corinna Adam (Oda Thormeyer, Puppenspieler), die Thiel derweil zum Abendessen begleitet und ihr Wissen gerne mit dem Ermittler teilt.


ADAM:
Macht- und Führungspositionen werden überdurchschnittlich oft von Narzissten und Psychopathen eingenommen.


Ähnlich wie im miserablen Bremer Tatort Hochzeitsnacht entspinnen die Filmemacher ein emotionales Kammerspiel in einer abgeriegelten Gaststätte, gehen aber noch einen Schritt weiter: Boerne wird von Götz mit einer Substanz vergiftet, die die Symptome von ALS simuliert – und je länger die Geiselnahme dauert, desto schlechter ist es um den eitlen Forensiker bestellt. Wenngleich sich Götz nun wahrlich nicht als Kellner auf die Party hätte schleichen müssen und das ohnehin konstruiert wirkende Tatmotiv nicht konsequent durchgezogen wird, beginnt damit ein reizvoller Wettlauf gegen die Zeit, wie es ihn in Münster lange nicht mehr gab.

Zeit für den einen oder anderen Gag bleibt natürlich trotzdem: Dank seiner gelähmten Zunge kann sich Boerne von Minute zu Minute schlechter artikulieren – Jan Josef Liefers hat sichtlich Spaß an diesem Handicap und sorgt mit seinem Gelalle für kleinere Lacher. Den ernsthaften Anspruch verliert der Tatort allerdings nicht: Deutlich negativer ins Gewicht fallen die dicken Logiklöcher, allen voran die Tatsache, dass Götz sich immer wieder Auszeiten gönnt, in denen Boerne und Haller unbeobachtet tun und lassen können, was sie wollen. Peter Jordan (Verbrannt) trägt mit seinem engagierten Over-Acting ebenfalls nicht zur Glaubwürdigkeit bei, und eine späte Wendung, die die Dinge abschließend in ein anderes Licht rückt, wirkt eher überambitioniert, als dass sie für Verblüffung sorgen würde.

Dennoch ist der von Regisseur Lars Jessen (Borowski und die einsamen Herzen) souverän in Szene gesetzte Jubiläumskrimi einer der besseren mit Thiel und Boerne, weil die Spannungskurve nie in den Keller sackt und die Ermittler sich auf die Arbeit konzentrieren, statt platte Pointen durchzukauen: Der von Rückenschmerzen geplagte Thiel gerät mit dem humorlosen SEK-Leiter Lohbach (Andreas Grötzinger, Tödlicher Einsatz) aneinander, während "Alberich" von einer noblen Geste ihres egozentrischen Chefs erfährt und ihm tapfer das Händchen hält. Auch Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) und Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) zeigen sich so aktiv wie selten – Herbert "Vaddern" Thiel (Claus D. Clausnitzer) hingegen wird einmal mehr mit der Brechstange in den Plot gequetscht und bestätigt damit erneut seinen Status als fleischgewordener Running Gag, der schon seit Jahren nicht mehr witzig ist.

Bewertung: 6/10

Freitod

Folge: 993 | 18. September 2016 | Sender: SRF | Regie: Sabine Boss
Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
So war der Tatort:

Sterbebegleitend.

Schon bei der ersten Begegnung mit Dr. Hermann (Andreas Matti, Wunschdenken), dem Leiter der Sterbehilfe-Organisation "Transitus", lernen die Luzerner Ermittler das korrekte Vokabular: Sterbebegleitung ist nicht dasselbe wie Sterbehilfe, weil der oder die Sterbende den Giftcocktail selbst einnehmen muss.

Nicht zum ersten Mal wird dieses gesellschaftliche Reizthema – man denke an den brillanten Münchner Tatort Außer Gefecht oder den etwas überschätzten Ludwigshafener Beitrag Der glückliche Tod – in der Krimireihe aufgegriffen, doch allzu ausufernde Debatten bleiben dem Zuschauer in Freitod erspart: Die Drehbuchautorinnen Josy Meier und Eveline Stähelin streuen zwar einige Allgemeinplätze zum Für und Wider dieser Praxis in die Breite, tragen die Diskussion aber nicht auf dem Rücken von Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) aus, die bei den Ermittlungen erwartungsgemäß zwischen die Fronten der Befürworter und Gegner geraten.

Eine Diskussion im Auto, die im gesellschaftskritischen Tatort aus Köln wohl in eine minutenlange Kontroverse ausgeartet wäre, würgt Flückiger charmant ab, denn er ist mit seinen Gedanken bei seiner Flamme Evelyn, die der Zuschauer weiterhin nicht zu Gesicht bekommt. Deutlich packender als die bemühte SMS-Liaison, die offenbar der Charakterzeichnung dienen soll, gestaltet sich die Inszenierung des Mordfalls: Nachdem die von schlimmen Schmerzen gepeinigte Gisela Aichinger (Barbara-Magdalena Ahren, Frau Bu lacht) die Sterbebegleitung von Transitus in Anspruch nimmt und friedlich einschläft, wird ihre Sterbebegleiterin Helen Mathys (Ruth Schwegler, Zwischen zwei Welten) brutal mit einer Plastiktüte erstickt – eine starke Szene.

Als Hauptverdächtiger drängt sich Aichingers obdachloser Sohn Martin (Martin Butzke, Waffenschwestern) auf, der den gegen die Sterbebegleitung protestierenden Mitgliedern der christlichen Vereinigung Pro Vita schon bei seinem ersten Auftritt eindrucksvoll klar macht, dass er nicht mehr alle Nadeln auf der Tanne hat.


AICHINGER:
Büßen! Ihr werdet büßen! Blut! Frösche! Vieh- und Menschenpest!


Würde das Androhen der zehn biblischen Plagen in einem Tatort aus Münster oder Weimar vielleicht zum Schmunzeln animieren, ist Aichingers irritierender Auftritt in diesem Krimi todernst gemeint: Die Filmemacher haben mit dem cholerischen Hauptverdächtigen eine überaus anstrengende Figur geschaffen, zu der der Zuschauer kaum Zugang finden kann und die angesichts ihrer Krankheit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Täter ausscheidet.

Dennoch wird Aichingers Streifzug hinter dem Rücken der Kommissare ausführlich dokumentiert – eine Rechnung, die zu keinem Zeitpunkt aufgeht. Dem cholerischen Plastikbeutelträger ("Mama wollte lebenslänglich leben!") mangelt es vor allem an einer Vorgeschichte, die seinen sozialen Abstieg greifbar macht. Etwas Gutes haben seine wirren Schimpftiraden aber doch: Angesichts der lautstarken und unfreiwillig amüsanten Aggressionen dürfte so mancher eingenickte Zuschauer wieder aufschrecken.

Freitod steht nämlich über weite Strecken exemplarisch für die enttäuschenden Luzerner Folgen der letzten Jahre: Die Ermittlungsarbeit wirkt so hölzern wie in keiner zweiten Tatort-Stadt, und den Kommissaren ist die Dynamik nach dem starken Ihr werdet gerichtet endgültig wieder abhanden gekommen. Die 993. Tatort-Ausgabe plätschert lange behäbig vor sich hin, und auch der Mini-Flirt von Praktikant Vikinesh Jeyanantham (Kay Kysela, in Kleine Prinzen noch in einer anderen Rolle zu sehen) und Gerichtsmedizinerin Corinna Haas (Fabienne Hadorn) verpufft als müde Randnotiz.

Zumindest der von Regisseurin Sabine Boss (Hanglage mit Aussicht) spannend inszenierte Showdown entschädigt für die vorherigen Längen, und auch die Auflösung ist kein Kinderspiel: Mit den ehrenamtlichen Transitus-Mitarbeitern Jonas Sauber (Sebastian Krähenbühl, Zwischen zwei Welten) und Nadine Camenisch (Anna Schinz, bis Geburtstagskind in Luzern viermal in einer Nebenrolle als Brigit Bürki zu sehen), dem auf eine Organspende wartenden Dialysepatienten Mike Zumbrunn (Lukas Kubik) und dem aalglatten Pro Vita-Chef Josef Thommen (Martin Rapold, Der Polizistinnenmörder) gibt es schließlich gleich vier erstzunehmende Verdächtige.

Bewertung: 4/10

Die Kunst des Krieges

Folge: 992 | 4. September 2016 | Sender: ORF | Regie: Thomas Roth
Bild: ARD Degeto/ORF/Superfilm/Klaus Pichler
So war der Tatort:

Terrierfreundlich.

Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) hat es in diesem Wiener Tatort nicht leicht: Seine Tochter Claudia (Tanja Raunig) zieht mit ihrem muslimischen Freund in eine neue Wohnung und Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) quartiert heimlich die tatverdächtige Victoria Oshchypko (Janina Rudenska) bei sich ein – doch da ist ja zum Glück noch Parson Russell Terrier Percy, der Fellner nach dem Fund eines brutal ermordeten Geschäftsmannes unverhofft nachläuft und schon bald in Eisner sein neues Herrchen sieht. Der findet das zwar zunächst überhaupt nicht komisch, irgendwann aber doch Gefallen an seinem neuen Mitbewohner und der tierischen Gesellschaft nach Feierabend.

Ähnlich wie in den Münchner Tatort-Folgen mit Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) oder den Bremer Tatort-Folgen mit Inga Lürsen (Sabine Postel) sorgen die Hundeszenen aber nicht für öffentlich-rechtlichen Polizei-Kitsch á la Da kommt Kalle, sondern für wohldosierte Entschleunigungsmomente – in einem unterhaltsamen, wenn auch stellenweise brutalen Kiezkrimi. Einmal mehr schickt der ORF seine Ermittler dahin, wo's weh tut: ins Milieu des organisierten Verbrechens, das Fellner noch bestens aus ihrer Zeit bei der "Sitte" kennt und in dem keine Gefangenen gemacht werden.

Trotz des gewohnten Whodunit-Konstrukts wird schnell klar, dass nur der feindselige Restaurantbesitzer Ramazan Tagaev (Daniel Wagner) oder der großkotzige Zuhälter Andy Mittermeier (famos: Michael Fuith, Grenzfall) als (Auftrags-)Mörder infrage kommen: Die Auflösung ist in Die Kunst des Krieges zweitrangig, wenngleich Sektionschef Ernst Rauter (Hubert Kramar) natürlich das Gegenteil behauptet.


RAUTER:
Und am Ende finden wir raus, wer den Türken umgebracht hat. Das wär' nämlich schon auch wichtig.


Wie viele österreichische Tatort-Macher vor ihm stellt Regisseur und Drehbuchautor Thomas Roth (Deckname Kidon) den Toten einleitend förmlich zur Schau: Wurde in Sternschnuppe der Jurychef einer Castingshow in seiner Dusche stranguliert, gab in Falsch verpackt der zur Eisleiche erstarrte Martin Brambach den Ermittlern Rätsel auf.

Diesmal steckt das Opfer mit dem Kopf in einer Kommode – brutal abgeschlachtet und mit einem elektrischen Dönermesser um wichtige Körperteile erleichtert. Die obligatorische zweite Leiche hängt in bester Hannibal-Manier publikumswirksam in luftiger Höhe – es bleibt nicht der letzte Todesfall in einem Krimi, der sich auf der Zielgeraden zum actiongeladenen Thriller wandelt. Hier wird der Bogen allerdings deutlich überspannt: Der überzeichnete Auftritt der ganz in schwarz gekleideten Killerin "Asia" (Puti Pendekar Kaisar), die gut in einen Martial-Arts-Streifen oder James-Bond-Film gepasst hätte, leitet einen fast absurden Showdown ein, bei dem so ziemlich jede Bewegung in Zeitlupe eingefangen wird.

Dabei entfernt sich der 992. Tatort ohne Not von seinen Wurzeln und ist nah dran an den umstrittenen Hamburger Beiträgen mit Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim), bei denen fast ausschließlich die Action im Vordergrund steht. Die wummernden Beats, die ein wenig zu häufig zum Einsatz kommen, verstärken den Over-The-Top-Eindruck, doch es überwiegen die positiven Aspekte: Die zuletzt drei Mal in Folge nur bedingt überzeugenden Eisner und Fellner harmonieren bei ihren amüsanten Kabbeleien wieder prächtig, wenngleich ihr Wiener Schmäh und die mangelhafte Tonabmischung des Films wieder so manchen Zuschauer auf die Palme bringen.

Das Einschalten lohnt sich aber allein schon wegen des charismatischen Antagonisten: Der in Waschbärpelz gekleidete, glatzköpfige Lude Mittermeier bedient zwar alle Klischees, schreckt bei seiner titelgebenden Kunst des Krieges aber vor nichts zurück, um seine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Für den Spannungsbogen erweist sich das als effektiv: Im Rahmen einer hochspannenden Sequenz im Restaurant wird Eisner nach seinem unpraktischen Gipsbein in Lohn der Arbeit, seiner heftigen Grippe in Kein Entkommen und seiner retrograden Amnesie in Unvergessen gesundheitlich einmal mehr arg in Mitleidenschaft gezogen, so dass das Publikum nach Herzenslust um den Ermittler bangen darf.

Bewertung: 6/10