Kälter als der Tod

Folge: 947 | 17. Mai 2015 | Sender: HR | Regie: Florian Schwarz
Bild: HR/Benjamin Knabe
So war der Tatort:

Überraschend sympathisch – denn die neuen Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich, Vergessene Erinnerung) und Paul Brix (Wolfram Koch, Hinkebein) präsentieren sich bei ihrem Debüt eine ganze Ecke weniger egomanisch als ihre Vorgänger in Hessen.

Man denke nur zurück an Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf), die der Krimireihe zwar Meilensteine wie Unter uns oder Weil sie böse sind bescherten, charakterlich aber kompliziert gestrickt waren – oder an den mürrischen Alkoholiker Frank Steier (Joachim Król), der nach einigen starken Fällen mit Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) in Das Haus am Ende der Straße einen fabelhaften Solo-Abschied feierte.

Keine kleinen Fußstapfen also, in die die etwas hausmütterlich wirkende Hobby-Fotografin Anna Janneke (die eigentlich Selma Jacobi heißen sollte) und der abgebrühte Ex-Sitte-Ermittler Paul Brix treten, doch der Hessische Rundfunk geht auf Nummer Sicher: Am Ruder sitzen Regisseur Florian Schwarz und Drehbuchautor Michael Proehl, die nach Weil sie böse sind zuletzt sogar den besten Tatort aller Zeiten arrangierten.

Die stilistische Nähe zum einzigartigen Genre-Mix Im Schmerz geboren blitzt denn auch gelegentlich auf: Das großartige Finale erinnert an stimmungsvolle Italo-Western oder Quentin Tarantinos Django Unchained – und die regelmäßigen Imaginations-Flashs, bei denen Janneke und  Brix sich plötzlich mitten im Geschehen der Vergangenheit befinden, wecken Erinnerungen an FBI-Profiler Will Graham (Hugh Dancy), der sich in der US-Erfolgsserie Hannibal in die Gedankenwelt brutaler Serientäter hineinversetzt.

Aber kann die Geschichte mit dieser erneut herausragenden Inszenierung und dem ausgefallenen Erzählstil mithalten?

Nicht ganz. Obwohl die Einführung der Figuren – eher ungewöhnlich für eine Debütfolge – und der vorprogrammierte Konflikt mit Kommissariatsleiter Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker, Alle meine Jungs) angenehm knapp ausfallen, hat Kälter als der Tod bis zum furiosen Showdown mit einigen Längen und so manchem aufgesagt klingenden Dialog kämpfen.

Zudem wirkt das Drehbuch überfrachtet: Die ermordete Familie Sander, die Janneke und Brix in Esszimmer und Küche eines Einfamilienhauses finden, das verschwundene Kindermädchen Miranda Kador (Emily Cox, Hydra), das sich mit Tochter Jule Sander (Charleen Deetz, Kinderland) aus dem Staub gemacht hat, Inzest und ein düsteres Familiengeheimnis, das triste Eheleben von Martin (Roman Knizka, Todesstrafe) und Silke Kern (Carina Wiese, Todesschütze), das bisweilen ins Groteske abdriftet ("Ich möchte nachher mit dir schlafen." - "Ich freu mich.") , und dann auch noch der einsame Paketbote Achim Lechenberg (Sebastian Schwarz, Großer schwarzer Vogel), der es mit dem Briefgeheimnis nicht so genau nimmt – ein bisschen viel für neunzig Krimiminuten.

Vor allem Brix' Besuch bei Lechenberg wirkt wie ein unnötiger Exkurs – zumal dessen Auftritt um Längen harmloser ausfällt als der von Paketzusteller Kai Korthals (Lars Eidinger), der im vielgelobten Kieler Tatort Borowski und der stille Gast vielen Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren ließ. Auch mit ihrer ziemlich offensichtlichen falschen Fährte dürften die Filmemacher krimierprobte Zuschauer kaum von der richtigen Auflösung abbringen – ein sonderlich kniffliger Whodunit ist der 947. Tatort also nicht, und nicht nur das entscheidende Indiz um eine in Endlosschleife dudelnde CD wirkt reichlich konstruiert.

So ist der Einstand der neuen Frankfurter Hauptkommissare, in dem es einige seltsame Verweise auf die Zeit der NS-Diktatur zu entdecken gibt, unter dem Strich zwar ein guter und unterhaltsamer, aber kein überragender Auftakt: Statt mit einer raffinierten Geschichte überzeugt Kälter als der Tod mit einer tollen Inszenierung und zwei sympathischen Ermittlern, auf deren nächste Fälle man gespannt sein darf.

Bewertung: 7/10

1 Kommentar:

  1. Äußerst traurig, dass am "Tag gegen Homophobie" erneut ein Tatort ausgestrahlt wird, der alle Klischees gegen Lesben aufruft, die eigentlich längst überwunden sein sollten, die aber mit diesem Tatort erneut fortgeschrieben werden: Lesben haben schlechte oder gar keine Eltern, sie wachsen im Internat oder wahlweise bei schlechten Adoptiveltern auf, sind gestört, psychopathisch, man kann ihnen nicht trauen, sie suchen eigentlich keine erwachsene Beziehung, sondern Ersatz für etwas anderes, was sie nie hatten und bekommen werden: eine glückliche Familie, sie sind Opfer von Missbrauch in der Herkunftsfamilie, aber dafür werden sie dann zu "Monstern" und kaltblütigen Serienmörderinnen, die mit Genugtuung am Ende erschossen werden können…Der neue Kommissar findet nicht einmal ein Wort des Bedauerns, sondern “fühlt sich gut”. Schon eine extrem ärgerliche Reihe von homophoben Tatorten, die hier die Krimimacher fortsetzen. Das Bild von Homosexuellen im Tatort ist einfach deprimierend, veraltet und enttäuschend.

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