Gegen den Kopf

Folge: 880 | 8. September 2013 | Sender: rbb | Regie: Stephan Wagner
Bild: rbb/Frédéric Batier
So war der Tatort:

Erschreckend nah an der Großstadtrealität.

Denn Gegen den Kopf ist nah am realen Fall Dominik Brunner, der fast genau vier Jahre vor der Erstausstrahlung des Krimis auf dem S-Bahnhof München-Solln von zwei Jugendlichen totgeprügelt wurde, nachdem er bei einer Auseinandersetzung mit jüngeren Teenagern beherzt eingeschritten war.

Der 880. Tatort spielt freilich nicht an der Isar, sondern rund 600 Kilometer weiter nördlich in Berlin – doch die Geschichte, die Regisseur und Drehbuchautor Stephan Wagner entwirft, orientiert sich eng am tragischen Tod von Brunner, der postum mit zahlreichen Ehrungen bedacht wurde und viele großangelegte Aktionen für mehr Zivilcourage auslöste.

Wie Brunner stirbt auch der in der U-Bahn energisch einschreitende Mark Haessler (Enno Kalisch) im Tatort nicht direkt an den Folgen der Tritte, sondern an einem Herzfehler, und wie Brunner teilt der Familienvater bei der Auseinandersetzung mit den alkoholisierten Halbstarken zuerst einen Faustschlag aus, bevor er einstecken muss.

Wagner, der mit dem hochspannenden Borowski und die Frau am Fenster einen der stärksten Fadenkreuzkrimis der letzten Jahre inszenierte, lässt die Moralkeule bei seiner zweiten Regiearbeit für die Krimireihe stecken und Gegen den Kopf erfreulicherweise nicht zum flammenden Plädoyer für mehr Zivilcourage verkommen. Vorwürfe an die anderen Fahrgäste, Haessler nicht geholfen zu haben, bleiben unausgesprochen, platte Früher-war-alles-besser-Momente die Ausnahme.


RITTER:
Zu meiner Zeit hat man aufgehört zu schlagen, wenn ein Mensch am Boden lag.


Die Hauptstadt-Kommissare Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic), die diesmal vom ehrgeizigen, aber falsch spielenden jungen Kollegen Schott (Claudius von Stolzmann) bei ihren Ermittlungen unterstützt werden, bekommen bei der Täterfrage eine harte Nuss vorgesetzt.

Dabei setzt das Drehbuch nur bedingt auf eine klassische Whodunit-Konstruktion: Die jugendlichen Schläger sind dank der Kamerabilder der U-Bahn-Station – der Überwachungsstaat lässt pünktlich zur anstehenden Bundestagswahl grüßen – zwar schnell identifiziert, doch findet die Prügelei im toten Winkel statt, so dass sich Konstantin Auerbach (Jannik Schümann, Liebeshunger) und Achim Wozniak (Edin Hasanovic, Der Wald steht schwarz und schweiget) gegenseitig die Haupttäterschaft in die Schuhe schieben können.

Hier liegt die einzige nennenswerte Schwäche des ansonsten erstklassig arrangierten und beklemmend realen Hauptstadtkrimis: Die Auflösung ist für jeden tatorterprobten Zuschauer ein Kinderspiel, weil sich die Teenager in ihrem Wesen zu stark voneinander unterschieden. Während der arrogante Unternehmersohn Auerbach den aalglatten Anwalt Dr. Thomas (Simon Licht, Jagdfieber) mit zur Vernehmung bringt und die bohrenden Fragen lächelnd beantwortet, sammelt der vorbestrafte Problemteenager Wozniak (Ritter: "Der braucht keinen Anwalt, der braucht ein Wunder.") nach anfänglich bockiger Haltung fleißig Sympathiepunkte.

Dennoch: Gegen den Kopf bleibt trotz der Vorhersehbarkeit in der Täterfrage eine der besten Berliner Folgen seit Jahren und ist nach dem müden Schweizer Auftakt Geburtstagskind das erste große Tatort-Highlight nach der Sommerpause 2013.

Bewertung: 8/10

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen