Spiel auf Zeit

Folge: 875 | 26. Mai 2013 | Sender: SWR | Regie: Roland Suso Richter
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Noch interaktiver als vor gut einem Jahr, als der SWR die Zuschauer erstmalig zum Mitmachen einlud und online weiterermitteln ließ.

Nach der unterirdischen Odenthal-Folge Der Wald steht schwarz und schweiget, die sich problemlos ihren Platz in unseren All-Time-Flops der Krimireihe sicherte, durfte der Zuschauer nach dem Abspann im Internet den Täter überführen. Diesmal setzen die Tatort-Macher noch einen drauf: Eine ganze Woche lang wurde unter YouTube-Anleitung von Nika Banovic (Miranda Leonhardt) und dem Motto Tatort+ im Netz ermittelt, mussten via Hangout Zeugen befragt, kryptische Zeitungsannoncen entschlüsselt und Serviettenschnipsel zusammengepuzzlet werden.

Doch Spiel auf Zeit funktioniert auch für Zuschauer, die sich der großangelegten transmedialen Aktion der ARD verweigert haben. Holger Karsten Schmidt (In eigener Sache), der bereits die Drehbücher zu den ersten drei Folgen mit Hauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) schrieb, knüpft mit seinem Drehbuch inhaltlich an Tödliche Tarnung an, in dem Lannert und Bootz dem schmierigen Viktor de Man (großartig: Filip Peeters) 2009 das Handwerk legten.

Dass de Man und Lannert – der Kommissar verlor zu Hamburger Zeiten als verdeckter Ermittler Frau und Kind – eine ganz besondere Vorgeschichte verbindet, deutet Schmidt dabei nur an. Eine sinnvolle Entscheidung: Die Geschichte ist auch ohne den historisch erweiterten Kontext schon vollgepackt mit doppelten Böden, die dem Zuschauer ein hohes Maß an Aufmerksamkeit abverlangen und zwischenzeitliche Toilettengänge weitestgehend ausschließen.

Spiel auf Zeit hat seine stärksten Szenen im Mittelteil, in dem sich Lannert und Bootz – und mit ihnen der Zuschauer – immer wieder die Vertrauensfrage stellen müssen: Welches Spiel treibt der aalglatte Schwerverbrecher de Man? Verfolgt der Inhaftierte vielleicht ganz andere Ziele, als sich an den Ganoven zu rächen, die ihn einst hinter Gitter brachten?

Der langjährigen Kino- und TV-Regisseur Roland Suso Richter (Schwarze Tiger, weiße Löwen) zieht die Spannungsschraube bis zum Finale kontinuierlich an und legt die Karten spät offen. Richtig actiongeladen wird es beim Showdown, der sich in Sachen Kugelhagel vor Til Schweigers umstrittenem Hamburger Tatort-Debüt Willkommen in Hamburg nicht verstecken muss.

Leider wird es zugleich unfreiwillig komisch – nämlich dann, wenn der unerwartet von seiner Frau Julia (Maja Schöne) verlassene Hauptkommissar Bootz ("Ich hab zwei Kinder! Und sie verlässt mich! Einfach so!") mal wieder den kühlen Kopf vermissen lässt, wild durch die Gegend brüllt und verdutzten Räubern ohne Vorankündigung Kugeln in die Beine ballert. Hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen, denn auch die spontane Prügelattacke im Wohnwagen eines Tatverdächtigen steht dem fürsorglichen Familienvater nicht gut zu Gesicht.

Sein neues Single-Leben dürfte dem Stuttgarter Tatort hingegen gut tun: Die mal mehr, mal weniger harmonischen Bootzschen Familienszenen erwiesen sich in der Vergangenheit schließlich oft als Todesurteil für die Spannungskurve. Auch ein langwieriger Rosenkrieg bleibt den Zuschauern in den Jahren danach erfreulicherweise erspart.

Bewertung: 6/10

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