Kein Entkommen

Folge: 827 | 5. Februar 2012 | Sender: ORF | Regie: Fabian Eder
Bild: rbb/ORF/Petro Domenigg
So war der Tatort:

Grippegeschwächt.

In Kein Entkommen grassiert in Wien – der viertgrößten serbischen Stadt der Welt, wie der Zuschauer lernt – nämlich die Grippewelle. Erst erwischt es den bedauernswerten Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), der die erste halbe Stunde fleißig Viren auf dem Polizeirevier verbreitet, wenig später seine Tochter Claudia (Tanja Raunig), und schließlich auch noch die kratzbürstige Interpol-Kollegin Andrea Schiemer (Therese Affolter, Unter uns), die sich angesichts der grenzüberschreitenden Verwicklungen in die Ermittlungen einschaltet.

Im Mittelpunkt des dritten gemeinsamen Einsatzes von Eisner und seiner Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die das erste Aufeinandertreffen mit Schiemer gekonnt entschärft ("Ich bin ich und du bist du, wenn ich rede, hörst du zu, wenn du sprichst, dann bin ich still, weil ich dich verstehen will!"), steht aber nicht das Mordopfer, sondern der Serbe Mirko Gradic (Christoph Bach, Der oide Depp), der unter dem anonymer kaum denkbaren Namen Josef Müller in Österreich untergetaucht ist und nun von ehemaligen serbischen Kriegskameraden gejagt wird.

Gradic ist im Besitz eines brisanten Tagebuchs, wird sogleich unter Personenschutz gestellt und mit Kind (Samuel Jung), Frau (Monica Reyes) und Kegel in einem leerstehenden Wohnhaus einquartiert. Keine Viertelstunde später liegt ein halbes Dutzend toter Serben und Polizisten in Blutlachen auf dem weiß gekachelten Fußboden.

Neben dem großartigen Score von Roman Kariolou, der das nächtliche Massaker zum hochspannenden Adrenalintrip veredelt, sind es Einstellungen wie diese, mit denen Regisseur Fabian Eder (Granit) Kein Entkommen ab dem Mittelteil zu einem atemberaubend inszenierten Feldzug südosteuropäischer Profikiller macht.

Eder, der gemeinsam mit Lukas Sturm (Glaube, Liebe, Tod) auch das Drehbuch zu Kein Entkommen schrieb, schmeißt Eisner und Fellner ohne Vorwarnung in ein brutal kriminelles Milieu, das eher an bleihaltige Actionthriller aus der Traumfabrik Hollywood oder Shoot-Outs im Wilden Westen erinnert.

Kompromisse machen Eder und Sturm dabei keine: Serbische Dialoge werden für das deutsche Publikum untertitelt und nicht etwa synchronisiert, zerschossene Gesichter in Großaufnahme gezeigt. Das mag nicht jedem Stammzuschauer schmecken, verleiht dem Tatort aber eine ungemeine Authentizität und eine gnadenlos finstere Atmosphäre.

In einer der stärksten Sequenzen des Films, in der Adele Neuhauser schauspielerisch über sich hinauswächst, schenkt Eisner sich und seiner Partnerin, die sich gerade erst mühsam vom Alkohol hat lossagen können, einen Doppelkorn ein – Fellner schmeißt ihm das Glas vor den Bauch und bricht weinend an seiner Brust zusammen.

15 Leichen – bis dato absoluter Tatort-Rekord – sind selbst für die toughe Fellner zuviel, die früher bei der Sitte viel erlebt hat. Und damit nicht genug: Selbst auf der Zielgeraden hält Kein Entkommen, bei dem der Zuschauer von einem emotionalen Abgrund in den nächsten stürzt und vollkommen desillusioniert zurückbleibt, noch einen bahnbrechenden Twist für all jene bereit, die sich bereits in Sicherheit wiegen.

Damit verdient sich der 827. Tatort eindrucksvoll das Prädikat Meilenstein und ist bis heute der beste Fall des Wiener Ermittlers Moritz Eisner.

Bewertung: 10/10

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