Leben gegen Leben

Folge: 792 | 27. Februar 2011 | Sender: NDR | Regie: Nils Willbrandt
Bild: NDR/Georges Pauly
So war der Tatort:

Technisch ganz weit vorn.

Dass der Hamburger Undercover-Ermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) oft mehr mit James Bond, dem Geheimagenten Ihrer Majestät, gemeinsam hat als mit einem Tatort-Kommissar der klassischen Sorte, ist zwar nichts Neues – doch in Leben gegen Leben wird er von seinem Chef Uwe Kohnau (Peter Jordan) nicht nur mit Wohnung, Headset und Dienstwaffe, sondern sogar mit typischem 007-Equipment ausgestattet.

Eine Miniaturkamera im Feuerzeugformat, ein manipulierter Detektor, und nicht zuletzt ein Peilsender, versteckt in einem roten Mädchenohrring: Regisseur und Drehbuchautor Nils Willbrandt (Mord in der ersten Liga) setzt bei Batus viertem Einsatz an der Waterkant auffallend oft auf praktische Gimmicks und treibt die Verwandtschaft zur Bond-Reihe damit auf die Spitze.

Auch sonst löst sich der eigenwillige Tatort aus der Hansestadt einmal mehr komplett von jeder klassischen Krimischablone: keine Auftaktleiche, kein Mörder, keine Spurensicherung. Stattdessen wird Urlaubsrückkehrer Batu als Fahrer in einen Organhändlerring eingeschleust, der mitten in der großstädtischen Anonymität illegale Operationen durchführt und zahlungskräftigen Käufern, die auf der langen Warteliste für Spenderorgane zu weit unten stehen, die dringend benötigten Transplantationen ermöglicht.

Willbrandt verknüpft die Ermittlungen gegen die skrupellosen Organhändler direkt mit dem Schicksal der jugendlichen Ausreißerin Amelie Helmann (Michelle Barthel, Hinkebein) – eine sinnvolle Entscheidung, gibt sie dem Fall doch eine sehr persönliche Note und der talentierten Jungschauspielerin ausgiebig Gelegenheit, ihr großes Potenzial unter Beweis zu stellen.

Leben gegen Leben ist ein starker, authentischer Thriller, der unter dem Strich aber nicht ganz die Klasse der drei Batu-Meilensteine Auf der Sonnenseite, Häuserkampf oder Der Weg ins Paradies erreicht. Denn dazu verläuft die Spannungskurve vor allem im Mittelteil zu flach.

Richtig an Fahrt nimmt die Geschichte nach dem spannenden, mit einer Parallelmontage arrangierten Auftakt nämlich erst auf der gewohnt bleihaltigen Zielgeraden wieder auf, auf der der tagelang vergeblich gesuchte Operationssaal endlich gefunden wird und Batu in einem Wettlauf gegen die Zeit entscheidende Sekunden in einem schier unendlichen Labyrinth aus nächtlichen Fluren, Treppenhäusern und Büroräumen zu verlieren droht.

Die Ohnmacht des Ermittlers, der in der jungen Ausreißerin mehr sieht als nur ein zu beschützendes Opfer und sie trotzdem als menschlichen Köder missbraucht, wird hier förmlich greifbar und treibt den Pulsschlag des Zuschauers spürbar in die Höhe.

Für willkommene Entspannungsmomente sorgen bis dahin die Besuche beim türkischen Familienoberhaupt und Dönerverkäufer (Demir Gökgöl, Auf der Sonnenseite), den Batu bereits bei seinem ersten Einsatz in der Hansestadt kennenlernen durfte: nicht wirklich nötig, aber gekonnt in den Plot integriert, um Batu zumindest ein Stück weit von seiner privaten Seite zu zeigen und Ausreißerin Amelie vorübergehend Obdach zu gewähren.

Privates und Berufliches stimmig miteinander in Einklang zu bringen, kriegt bei weitem nicht jeder Tatort hin – im Hamburger Fadenkreuzthriller meistern die Filmemacher dieses schwierige Unterfangen fast spielend.

Bewertung: 8/10

Rendezvous mit dem Tod

Folge: 791 | 20. Februar 2011 | Sender: MDR | Regie: Buddy Giovinazzo
Bild: MDR/Saxonia Media/Junghans
So war der Tatort:

Weit weniger romantisch, als es der Krimititel nahelegt.

In Leipzig herrscht nämlich Eiszeit – zumindest zwischen den Hauptkommissaren Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla), die sich bei ihrem zehnten gemeinsamen Einsatz in Sachsen so feindselig begegnen wie selten.

Heiß her geht es in Rendezvous mit dem Tod trotzdem: Keppler motzt lautstark an Saalfelds Fahrkünsten rum, Saalfeld moniert Kepplers ehrgeizige Karrierepläne und der bedauernswerte Kriminaltechniker Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) gerät mal wieder zwischen alle Fronten, weil seine beiden Vorgesetzten getrennt voneinander ermitteln und sich jeweils eine Leiche vorknöpfen.

Die sind natürlich miteinander verknüpft: Beide Opfer waren online auf Partnersuche, im Dating-Portal "50Plus", dessen Webdesigner die Zeit nach der Jahrtausendwende offenbar komplett verschlafen haben – da liegt es nahe, dass sich auch Saalfeld mit einem Bild ihrer Mutter (!) zum schnellen Netzflirt anbietet und prompt die ersten Angebote ins Präsidium trudeln.

Rendezvous mit dem Tod ist ein schwacher, sogar ein richtig schwacher Tatort – sieht man einmal davon ab, dass die Drehbuchautoren Meike Hauck und Clemens M. Schönborn mit der Auflösung noch einen späten Volltreffer landen. Die ist nämlich erfreulich überraschend – was auch daran liegt, dass mit Nadeshda Brennicke (Zurück ins Licht), Renate Krößner (Alles hat seinen Preis) und André Hennicke (Wegwerfmädchen) drei in etwa gleich prominente Nebendarsteller mit von der Partie sind, die sich nicht schon allein durch ihr bekanntes Gesicht von den übrigen Charakteren abheben und damit als Täter aufdrängen.

Sieht man vom packenden, wenn auch von Regisseur Buddy Giovinazzo (3 x schwarzer Kater) recht holprig inszenierten Showdown ab, in dem Keppler kurzerhand bewusstlos geknüppelt wird und von seiner Kollegin aus einem metertiefen Brunnenschacht gerettet werden muss, ist der 791. Tatort erschreckend schwach auf der Brust. 

Aufgesetzte Streitigkeiten unter Kollegen, abgegriffene Krimi-Dialoge vom Reißbrett und behämmerte Binsenweisheiten ("Hinter jedem Vermögen steht ein Verbrechen.") halten sich die Waage, Saalfeld turtelt halbherzig mit Lover Dr. Pierre Holsten (Oliver Bootz, Schön ist anders) und Keppler erwehrt sich bemüht der Avancen von Birgit Hahn (Krößner), die sich in seiner Pension einquartiert und Nachtportier Schmitz (Dieter Jasslauck) praktische Einrichtungstipps für seine Bar gibt. 

Spannend ist das alles nicht, und manchmal sogar unfreiwillig komisch, weil der Tatort auch unabhängig von seiner mauen und selten authentischen Geschichte große Angriffsfläche bietet: Einfach mal drauf achten, was passiert, wenn Keppler den armen Menzel (der angeblich neben seiner Frau im Ehebett liegt) nachts wachklingelt: Aus dem Off ertönt die vermeintliche Stimme von Menzels Frau, Menzel verweist Keppler flüsternd auf seine schlafende Gattin, doch hinter ihm im Bett liegt: eindeutig niemand. Nur ein leeres Kopfkissen. Was soll das? 

Hier wurde am falschen Ende mit Statisten gegeizt – da hätte man besser Kepplers Pläne, als neuer Kommissariatsleiter in Wiesbaden durchzustarten, einsparen können, denn aus denen wird natürlich ohnehin nichts. 

Und Saalfeld? Die geht in Rendezvous mit dem Tod tatsächlich in bester Odenthal-Manier für ein paar Sekunden joggen – die Figur für das nicht immer glückliche Lederjacken-Presswurst-Outfit will ja schließlich gehalten werden.

Bewertung: 3/10

Stille Wasser

Folge: 790 | 13. Februar 2011 | Sender: Radio Bremen | Regie: Thorsten Näter
Bild: Radio Bremen
So war der Tatort:

Leger.

Egal ob der Parka und der Dreitagebart bei Peter Faber (Jörg Hartmann) in Dortmund oder das St.-Pauli-Shirt von Frank Thiel (Axel Prahl) in Münster: Einige Tatort-Ermittler sind bekannt für ihren Schlabberlook. Die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) gehörten bis zum 790. Tatort nicht unbedingt dazu.

Doch nachdem das Ehepaar Frank und Yvonne Berthold in seiner Wohnung in einem großen Mehrfamilienhaus erstochen wurde, greift auch Lürsen tief in die Altkleiderkiste: Nadine (Sina Monpetain), die neunjährige Tochter der Bertholds, will trotz des brutalen Mordes an ihren Eltern unbedingt in ihrem Zuhause bleiben und flieht dafür sogar aus dem Krankenhauszimmer, in das die Bremer Polizei sie vorübergehend einquartiert.

Lürsen setzt das beharrlich schweigende und völlig verängstigte Mädchen, das die Tat beobachtet hat, als Köder für den Täter ein – und damit sie bei der Aktion nicht als Polizistin auffällt, behauptet sie, Frank Bertholds verlotterte Halbschwester zu sein. Um dessen Kollegen und Nachbarn, die vermutlich in dieselben kriminellen Machenschaften verstrickt waren wie der Tote, das eine oder andere Geheimnis zu entlocken, verwandelt sich Lürsen dank übergroßer wildgemusterter Kleidung, einem lockeren Pferdeschwanz, einer Alkoholfahne und einer lockeren Zigarette im Mundwinkel in das wandelnde Klischee einer Asozialen mit fragwürdiger Vergangenheit.

Durch ungezwungene Gespräche am Küchentisch der Toten erspart Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter (Königskinder) dem Zuschauer in der Folge die sonst im Tatort üblichen langwierigen Verhöre – ein durchaus geschickter Schachzug. Und überhaupt bietet Stille Wasser eher wenig klassische Ermittlungsarbeit. Stattdessen widmet sich Stedefreund dem Einkaufen und Lürsen der Hausarbeit, die für so manchen amüsanten Monolog sorgt.


LÜRSEN:
Ich würde uns ja gerne was Leckeres kochen. Aber das ist nicht so einfach. Zur Auswahl stehen Spaghetti mit Cornflakes-Sauce oder aber Gulaschsuppe mit Erdnussbutter. Wir können natürlich auch Spaghetti mit Erdnussbutter machen und die Cornflakes über die Gulaschsuppe bröseln.


So wie Lürsens Kochkünste schwächelt aber auch ihr 23. Fall: Während ihr Undercover-Einsatz zwar wenig glaubhaft, aber zumindest kurzweilig ausfällt, verliert sich die Handlung immer wieder in Nebenschauplätzen.

Dass eine scheinbar unbedeutende Drogentote aus den ersten Filmminuten später noch einmal wichtig wird, dürfte den meisten Zuschauern klar sein – aber auch die Verdächtigen, die zufälligerweise fast alle zugleich Freunde, Nachbarn und Kollegen der Bertholds waren, haben ihre eigenen kleinen Geschichten zu erzählen.

Da sind zum einen Rebecka Gressmann (Anna Maria Mühe, Pauline), ihr Mann Max (Janek Rieke, Stiller Tod) und ihr gemeinsamer Sohn Onno (Felix Ellerhorst). Außerdem das Ehepaar Gisela (Dagmar Manzel, ermittelt ab 2015 als Hauptkommissarin Paula Ringelhahn im Franken-Tatort) und Günther Kremer (Ulrich Matthes, Im Schmerz geboren) sowie Walter Jensen (Robert Gallinowski, Dunkelfeld).

Dass gleich so viele bekannte TV-Gesichter zur Besetzung gehören, erschwert die Suche nach dem Täter, da die Formel "Der prominenteste Schauspieler war es!" diesmal schwer anwendbar ist. Dennoch ist der Mörder spätestens in der zweiten Hälfte des Krimis offensichtlich – statt der Frage nach der Auflösung stellt sich eher die nach dem Motiv.

Und da die Ermittler einleitend am Tatort trotz Kinderzeichnungen, Kinderzimmer und Kinderfotos erst sehr spät auf die Idee kommen, nach einem Kind zu suchen, Lürsen später alle Details des Mordfalls in Hörweite des Kindes bespricht und sie Nadine trotzdem nicht einmal in ihre Undercover-Pläne einweiht, ist es wenig verwunderlich, dass das Kind irgendwann selbst die Konfrontation mit dem Mörder sucht.

Die junge Sina Monpetain erinnert mit ihrem starren Blick entfernt an die mysteriöse Eleven aus dem späteren Netflix-Hit Stranger Things und stellt Nadines Angst und Unsicherheit in ihrem bis heute einzigen TV-Auftritt überzeugend dar – und überhaupt sind die Schauspieler in Stille Wasser der größte Pluspunkt. Besonders Anna Maria Mühe glänzt bei ihrem vierten Tatort-Auftritt als verzweifelte Trinkerin.

Die Logiklöcher und Drehbuchschwächen machen diese guten Leistungen aber nur bedingt wett, zumal am Ende einige Fragen offen bleiben: Wen haben Stedefreund und der diesmal stark in die Ermittlungen eingebundene Kriminalassistent Karlsen (Winfried Hammelmann) vor dem Haus verfolgt? Und seit wann ist es im Tatort en vogue, dass die Kommissare grundlos auf ihren Assistenten herumhacken?

Bewertung: 5/10