Der Weg ins Paradies

Folge: 821 | 18. Dezember 2011 | Sender: NDR | Regie: Lars Becker
Bild: NDR/Hannes Hubach
So war der Tatort:

Hochexplosiv.

Den fünften und vorletzten Einsatz von Undercover-Ermittler Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) inszeniert mit Lars Becker ein Filmemacher, der bereits zweimal für einen Tatort auf dem Regiestuhl Platz genommen hat: für den Borowski-Fall Mann über Bord und den Berliner Tatort Dschungelbrüder.

Nicht nur, weil aller guten Dinge bekanntlich drei sind, ist Der Weg ins Paradies seine bis dato beste Arbeit: Becker leistet handwerklich einen erstklassigen Job und vergoldet ein ebenso authentisches wie brillantes Skript, das mehrere Fallstricke für den Zuschauer auslegt und dessen packende Geschichte von der ersten bis zur letzten Sequenz begeistert.

Alexander Adolph, der auch für das Drehbuch zum Münchner Meilenstein Der oide Depp und zum Wiener Meilenstein Kein Entkommen verantwortlich zeichnet, widmet sich mit den Gefahren, die von islamistischen Terrorzellen ausgeht, im Dezember 2011 nicht nur einer brandaktuellen Thematik, sondern verpackt diese auch noch gekonnt in einen hochspannenden Thriller: Die letzten dreißig Minuten in Der Weg ins Paradies markieren den spannendsten Tatort-Showdown seit Jahren - und selbst auf der Zielgeraden in der Hamburger Innenstadt hält Adolph noch Trümpfe in der Hinterhand.

Wer narrt hier eigentlich wen?

Ist es Batu, der von seinem Chef Kohnau (Peter Jordan) einmal mehr in eine Löwengrube geworfen wird und die Terroristen dank seiner hervorragenden Tarnung aufs Kreuz legt?

Oder lassen ihn die religiösen Fanatiker, die lange Zweifel an seiner Aufrichtigkeit hegen, am Ende doch ins offene Messer laufen?

Und welche Rolle spielt BKA-Vorzeige-Arschloch Oswald (Martin Brambach, Wie einst Lilly), dem Batus Leben keinen Pfifferling wert ist?

Adolph lässt im Verlauf der Geschichte gleich mehrere Bomben platzen, steuert zielsicher auf das atemberaubende Finale zu und verblüfft immer genau dann mit einem Twist, wenn der Zuschauer gerade glaubt, sich endlich auf Augenhöhe mit den Filmemachern zu befinden.

Auch bei der Besetzung gibt sich der NDR, der trotz dieser enormen Qualität auch für den fünften Batu-Fall wieder eine enttäuschende Quote einfuhr, keine Blöße: Neben Hauptdarsteller Mehmet Kurtulus glänzt im 821. Tatort vor allem Adolf-Grimme-Preis-Gewinner und Tatort-Debütant Ken Duken in der Rolle des eiskalten, hochfanatischen Leaders Christian Marschall. Duken wandelt häufig auf der Schwelle zum Over-Acting, überschreitet sie aber nie.

So toppt der Der Weg ins Paradies selbst das nicht minder hochklassige Batu-Debüt Auf der Sonnenseite und den genauso grandiosen Zweitling Häuserkampf und markiert einen weiteren Meilenstein in der Tatort-Geschichte.

Bewertung: 10/10

Schwarze Tiger, weiße Löwen

Folge: 820 | 11. Dezember 2011 | Sender: NDR | Regie: Roland Suso Richter
Bild: NDR/Roland Suso Richter
So war der Tatort:

Radebrechend.

Gleich mehrfach telefoniert Hauptkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) in Schwarze Tiger, weiße Löwen nämlich in die Niederlande – und zeichnet sich dabei mit verkrampftem Schulenglisch aus, bei dem so manchem Leistungskurslehrer ein eisiger Schauer über den Rücken laufen dürfte.


LINDHOLM:
Witsch wan? Onse raid said? Schur. Sänkju.


Gruselig klingt er, ihr deutscher Akzent – doch stellt sich die Frage nach dem Warum?

Hauptdarstellerin und Burda-Gattin Maria Furtwängler, Stammgast bei Gala-Veranstaltungen, Preisverleihungen und auf internationalem Parkett, dürfte sich sprachlich schließlich weitaus sicherer bewegen als die unbeholfene Kommissarin, die sie in der Krimireihe verkörpert.

Vielleicht ist Lindholms mieses Englisch also der Tatsache geschuldet, dass sie sich im 820. Tatort mal wieder richtig verlieben darf? Auch sonst zeichnet sich die LKA-Ermittlerin nämlich durch reichlich Fehltritte aus: Erst setzt sie ihren Wagen gegen einen Zierstein am Straßenrand, später vergisst sie ihr Mobiltelefon im Bett und am Ende gar den Dienstausweis im Hotelzimmer.

Peinlich, wenn der dann später gefunden wird und die Hotelangestellten ausgerechnet bei Kollegin Sigrid Malchus (Inka Friedrich, Der Tote im Nachtzug) von der örtlichen Dorfpolizei anrufen.


MALCHUS:
Ihr Dienstausweis wurde in der Bettwäsche gefunden.


Leider bleibt dies die einzige Pointe, die Lindholms Liaison mit dem smarten Journalisten Jan Liebermann (Benjamin Sadler, Mord in der ersten Liga) generiert – ansonsten erweist sich das Techtelmechtel einzig als Super-Gau für den Spannungsbogen.

Dabei ist doch eigentlich alles wie gemalt für eine Episode, in der Lindholm endlich mal wieder frei von allen Mutterzwängen ermitteln kann: Sohn David (Maris Strauß), diesmal sogar mit ein paar Dialogzeilen gesegnet, quartiert sie einleitend gleich mal auf einem Ferienbauernhof ein. Ein banalar, aber cleverer Schachzug der Drehbuchautoren Eoin Moore (Altlasten) und Ulrike Molsen, die offenbar erkannt haben, welch eklatante Folgen der menschliche Klotz am Bein der Kommissarin in den vergangenen Monaten und Jahren für den Tatort aus Niedersachsen hatte.

Nützen tut dies am Ende aber wenig – dazu holt Regisseur Roland Suso Richter (Spiel auf Zeit) einfach zu wenig aus der Geschichte, die sich stark am Fall der entführten Natascha Kampusch orientiert, heraus.

Wie schwach Schwarze Tiger, weiße Löwen auf der Brust ist, zeigt sich vor allem im direkten Vergleich zum elektrisierenden und hochspannenden Tatort-Meilenstein Verschleppt, der nur wenige Wochen später eine ganz ähnliche Geschichte erzählt und die 19. Lindholm-Episode noch schneller in Vergessenheit geraten lässt als ohnehin schon.

Bewertung: 4/10

Das Dorf

Folge: 819 | 4. Dezember 2011 | Sender: HR | Regie: Justus von Dohnányi
Bild: HR/Carl-Friedrich Koschnick
So war der Tatort:

Farblos – aber nur in optischer Hinsicht, dank der tristen Farbfilter nämlich.

Ansonsten zählt der zweite Fall des Wiesbadener LKA-Kommissars Felix Murot (Ulrich Tukur) bis heute zu den außergewöhnlichsten, schillerndsten und zugleich umstrittensten Tatort-Folgen aller Zeiten – und das gleich aus mehreren Gründen.

Da ist zunächst das außergewöhnliche Intro (nach dem obligatorischen Tatort-Vorspann, versteht sich): Eine gut 40-sekündige Schwarz-Weiß-Sequenz katapultiert den Betrachter schlagartig zurück in die 60er Jahre. Kein Geringerer als Grusel-Godfather Edgar Wallace stand hier Pate.

Auch der starke Score von Stefan Will macht Das Dorf zu einem echten Leckerbissen für Freunde des ausgefallenen Kriminalfilms, vor allem aber für Rialto Film-Nostalgiker.

Der fünfmalige Tatort-Darsteller und Regie-Debütant Justus von Dohnányi (Eine bessere Welt) nimmt sein Publikum mit auf eine groteske Gratwanderung zwischen Wahn, Witz und Wirklichkeit und serviert dem halluzinierenden Tumorkranken Murot schon mal das eigene Gehirn auf dem Silbertablett.

Dohnányi inszeniert nicht bloß einen Krimi, sondern ein Kunstwerk, und springt dabei mühelos von einem Filmgenre zum nächsten. Da nimmt das verstörte ARD-Stammpublikum den köstlichen Auftritt der Kessler-Zwillinge schon fast beiläufig zur Kenntnis.

Aber funktioniert Das Dorf als auch spannender Sonntagskrimi?

Und ob. Dohnányi und Drehbuchautor Daniel Nocke (Borowski und der vierte Mann) begehen nämlich nicht den Fehler, sich nur auf ihre brillante Verpackung zu verlassen.

Sie versammeln für den zweiten Murot-Fall gleich ein halbes Dutzend prominenter TV-Gesichter vor der Kamera – unter ihnen der neue Saarbrücken-Ermittler und Deutsche-Filmpreis-Gewinner Devid Striesow (Eine Handvoll Paradies) als Dorfbulle, Antoine Monot Jr. (Puppenspieler) als miesepetriger Einheimischer, Krimi-Stammgast Thomas Thieme (Willkommen in Köln) als stilvoller Bonvivant und die spätere Magdeburger Polizeiruf 110-Kommissarin Claudia Michelsen (Nachtgeflüster) als sadistische Medizinerin.

Ihnen allen ist der Spaß an dem ausgefallenen Fernsehfilm in jeder Sequenz anzumerken. Dass für eine solch wirre, fast surreale Noir-Geschichte, wie sie der 819. Tatort erzählt, ein paar Abstriche in Sachen Glaubwürdigkeit hingenommen werden müssen, ist da locker zu verkraften.

Die Rahmenhandlung um illegale Organspenden spielt hier schließlich ohnehin eine untergeordnete Rolle – der fantastische Cast um Hauptdarsteller Ulrich Tukur, dessen spätere Tatort-Einsätze diesem hier in Sachen Skurillität in nichts nachstehen, hingegen groß auf.

Bewertung: 9/10

Ein ganz normaler Fall

Folge: 818 | 27. November 2011 | Sender: BR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: BR/Barbara Bauriedl
So war der Tatort:

Ganz normal.

Schließlich beschäftigt sich Ein ganz normaler Fall mit einem Thema, wie es im Deutschland des 21. Jahrhunderts normaler kaum ausfallen könnte: dem Judentum.

Rafael Berger (Oliver Nägele, Kassensturz), der kurz vor seinem eigenen Ableben den Tod seiner Tochter Lea beklagen musste, wird nicht irgendwo tot aufgefunden, sondern im Vorraum einer Synagoge, einem jüdischen Gotteshaus. Zum Kreis der Verdächtigen zählen ausschließlich Juden. Heute darf und soll man "Juden" sagen, wie der 818. Tatort dem Zuschauer sogleich erklärt, denn "mit jüdischen Wurzeln" ist ja doch irgendwie albern. Schließlich ist das Wort "Jude" schon seit Jahrzehnten kein Schimpfwort mehr.

Als die langjährigen Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) aber den tatverdächtigen Jonathan Fränkel (Alexander Beyer, Schlaraffenland) auf einem Spielplatz verhaften und sich dabei von Kindern mit einer Handykamera filmen lassen, brennt im Polizeipräsidium plötzlich der Baum: Fränkel verliert bei der Verhaftung seine Kippa, die jüdische Kopfbedeckung. Ist die Suche nach Bergers Mörder vielleicht doch kein ganz normaler Fall?

Natürlich ist er das nicht.

Die Drehbuchautoren Rochus Hahn und Daniel Wolf, selbst jüdisches Gemeindemitglied, bitten Batic und Leitmayr zum heiklen Eiertanz, bei dem Wörter gnadenlos auf die Goldwaage gelegt werden und man sich bei den Ermittlungen jeden Schritt dreimal überlegen sollte, wenn man sich nicht selbst in Erklärungsnöte bringen oder gar als Antisemit entlarven will.


STAATSANWALT:
Ich möchte nicht, dass die uns aufs Dach steigen. Sie wissen doch, wie die sind.


BATIC:
Wie wer ist?


Ein ganz normaler Fall beleuchtet die Frage, ob man sich in Deutschland gegenüber jüdischen Mitbürgern überhaupt korrekt verhalten kann, ohne dabei irgendjemandem auf den Schlips zu treten, mit äußerster Behutsamkeit.

Leitmayr diskutiert die Frage, wie Gott den Holocaust zulassen konnte, und andere Glaubensthemen mit dem angesehenen Rabbiner Grünberg (André Jung), während Batic sich vorsichtig dem streng gläubigen, geistig zurückgeblieben Zeugen Aaron Klein (Florian Bartholomäi, Hilflos) den Schabbat, keusches Essen und weitere Verhaltensregeln erklären lässt.

Ein ganz normaler Fall leistet damit zweifellos ausführliche Aufklärungsarbeit, räumt mit Vorurteilen auf und liefert den einen oder anderen interessanten Denkanstoß – funktioniert als Krimi aber nur bedingt.

Die Drehbuchautoren und Regisseur Torsten C. Fischer (Nachtgeflüster) haben alle Hände voll damit zu tun, mit ihrem Film auch ja niemanden vor den Kopf zu stoßen – und somit fällt auch die Antwort auf die Frage, wer Rafael Berger denn nun ermordet hat, denkbar einfach aus.

Bewertung: 5/10

Der Tote im Nachtzug

Folge: 817 | 20. November 2011 | Sender: HR | Regie: Lars Kraume
Bild: HR/Lars Kraume
So war der Tatort:

Konsequent.

Wurden die neuen Frankfurter Hauptkommissare Frank Steier (Joachim Król) und Conny Mey (Nina Kunzendorf) bei ihrem Debüt in Eine bessere Welt von den Filmemachern charakterlich bereits grob skizziert, legt Regisseur und Drehbuchautor Lars Kraume, der erneut für den HR am Ruder sitzt, seine Karten nun endgültig offen.

Steier charakterisiert der Filmemacher als heimatlosen Spießbürger mit Neigung zum Feierabend-Rotwein, lässt ihn auf dem Sofa seines Dienstzimmers schlafen und ungeduscht in Besprechungen erscheinen.

Kollegin Mey darf im Vergleich zum Vorgänger sogar noch einen draufsetzen: Definierte sich ihr Sex-Appeal in Eine bessere Welt noch vorwiegend über Äußerlichkeiten, entlarvt Kraume die Hobby-Kickboxerin in Der Tote im Nachtzug nun als umtriebige Frau für eine Nacht. Steiers Kollegin erscheint wie selbstverständlich in türkisen Hot Pants am Tatort und stiefelt in knappen Outfits durchs Frankfurter Rotlichtmilieu, die sie kaum nennenswert von den leicht bekleideten Bordsteinschwalben abheben.


STEIER:
Wo ist denn Ihre Hose!?


Überspitzt gesagt: Steier, der unrasierte Trinker, und Mey, die opportunistische Schlampe mit derbem Vokabular – ein echter Neuanfang für den Tatort in der Bankenmetropole.

Kraume selbst sieht seine Figur als weibliches Pendant zu Horst Schimanski – ein bisschen weniger Girlie-Anleihen, und es fehlt bis zum Kult-Kommissar der 80er und 90er Jahre tatsächlich nicht mehr viel.

Die Nuss, die Steier und Mey bei ihrem zweiten gemeinsamen Einsatz zu knacken bekommen, erweist sich dabei als eine harte: Während der Medikamentenschmuggel, der die Ermittler in höchste Bundeswehrkreise führt und zur Zusammenarbeit mit dem Feldjäger Thomsen (Benno Fürmann, Klassen-Kampf) zwingt, unverbrauchten Erzählstoff liefert, erinnert der Leichen-Fundort im abgeschotteten Zugabteil entfernt an Agatha Christies britischen Krimi-Klassiker Mord im Orient-Express.

Zwar erreicht die überraschende Auflösung nicht die Brillanz Christies, fleißig mitgerätselt werden darf aber dennoch. Und die Konsequenzen, die Steier und Mey unisono daraus ziehen, unterstreichen, dass das Duo fröhlich auf Dienstvorschriften pfeift.

Ganz wie Schimanski eben.

Bewertung: 8/10

Borowski und der coole Hund

Folge: 816 | 6. November 2011 | Sender: NDR | Regie: Christian Alvart
Bild:  NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Skandinavisch.

Der Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) darf bei seinem zweiten gemeinsamen Einsatz mit seiner neuen Kollegin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) nämlich einen alten Bekannten begrüßen: Stefan Enberg (Markus Krepper), schwedischer Kommissar und dank eines seltenen Falls von Tollwut jenseits der Grenze voll in die Ermittlungen involviert.

Damit nicht genug: Die Schauplätze des Geschehens wechseln im ersten Viertel des Tatorts – deutsche Untertitel inbegriffen – fröhlich zwischen der sonnigen Kieler Förde und dem Land nordöstlich der Öresundbrücke. Kein Wunder, schließlich zeichnet kein Geringerer als Milberg-Freund Henning Mankell, der bereits die Geschichte zum tollen Tatort Borowski und der vierte Mann schrieb, für die Vorlage zum Drehbuch von Michael Proehl (Weil sie böse sind) verantwortlich.

Für den selten dämlichen deutschen Krimititel Borowski und der coole Hund kann der schwedische Krimi-Experte freilich wenig – Mankell aber ist es zu verdanken, dass der zweite Fall von Borowski und Brandt eine ganze Ecke härter und blutiger ausfällt als der gewöhnliche Durchschnittstatort.

Der gesuchte Serientäter in diesem Film begnügt sich nämlich keineswegs damit, seine Opfer einfach nur zu töten – er spießt sie auf spitzen Bambusstangen und Metallrohren buchstäblich auf. Willkommen bei Mankell!

Die Beweggründe des cleveren Killers, dessen Identität erst angenehm spät gelüftet wird, sind schnell offensichtlich: In Borowski und der coole Hund dreht sich von Beginn an alles um Femme Fatale Ina Santamaria, in deren Rolle die Deutsch-Österreicherin Mavie Hörbiger (Zartbitterschokolade) ganz groß aufspielt.

Die männermordende Sexbombe mit einer schmerzhaften Vorliebe für heiße Herdplatten flirtet nicht nur mit dem schwedischen Kommissar, sondern auch fleißig mit dem muffeligen Borowski – nur an Sarah Brandt, die auch die Enbergschen Annäherungsversuche souverän abblockt, beißt sich das personifizierte Tatmotiv die Zähne aus.

Brandt wiederum muss im 816. Tatort gehörig einstecken: Von Borowski, der mit üblen Zahnschmerzen zu kämpfen hat, lautstark getadelt und von epileptischen Anfällen geplagt, darf sie wie schon im Vorgänger Borowski und die Frau am Fenster beim Showdown das Zünglein an der Waage spielen.

Der Schlussakkord gelingt Regisseur Christian Alvart (Willkommen in Hamburg) ganz hervorragend – bei den Verfolgungsjagden und Leichenfunden, die die theatralische Musik von Michl Britsch gar nicht nötig haben, lässt er das Timing hingegen hin und wieder vermissen. Ein kleiner Wermutstropfen in einem ansonsten ausgezeichneten und hochkarätig besetzten Kieler Tatort.

Bewertung: 8/10

Mauerpark

Folge: 815 | 23. Oktober 2011 | Sender: RBB | Regie: Heiko Schier
Bild: rbb/Julia von Vietinghoff
So war der Tatort:

Weit weniger grün, als man zunächst vermuten sollte.

Mauerpark setzt dem gleichnamigen Fleckchen Grün zwischen den Berliner Bezirken Gesundbrunnen und Prenzlauer Berg zwar ein authentisches filmisches Denkmal, wurde aber im tiefsten Winter gedreht und verbreitet mit seinen kargen, grauen Bildern die pure Tristesse. 

Obwohl der Tatort in einem Park spielt, in dem es im Sommer vor grillfreudigen Hauptstädtern, Künstlern und Spaziergängern nur so wimmelt, bilden farblose Schrottcontainer, verlassene Baustellen, einsame Familiengräber und kalte Villen die Kulissen für den 25. Einsatz der Hauptstadt-Kommissare Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic)

Atmosphärisch ist die allgegenwärtige Betonästhetik, bei der die Graffitis auf den steinernen Mauern fast die einzigen Farbkleckse sind, zweifellos das Tüpfelchen auf dem I: Nach dem Fund der Leiche von Rechtsanwalt Simon Herzog (Christoph Gareisen, Zielscheibe) geraten Ritter und Stark schon bald in ein bedrückendes Familiendrama, in dessen Epizentrum der offenbar geistig zurückgebliebene, merkwürdige Halbsätze stammelnde Streuner Lukas Vogt (überragend: Robert Gwisdek, Heimatfront) den Ermittlern Rätsel aufgibt. 

Gwisdek, der vor allem bei der cleveren Schlusspointe des Krimis zu Höchstform aufläuft, ist der unumstrittene Star in einem düsteren Tatort, in dem die Kommissare oft nur die zweite Geige spielen und die Auflösung der Täterfrage am Ende fast zur Nebensache wird.

Das verschachtelte Skript von Regisseur und Drehbuchautor Heiko Schier verlangt dem Zuschauer ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit ab und gestattet keine zwischenzeitlichen Toilettengänge: Wer fünf Minuten nicht aufpasst, wird Probleme haben, der komplexen Handlung und den permanenten Zeitsprüngen zwischen den 80er Jahren und dem Hier und Jetzt zu folgen

Doch während die gekonnte Verknüpfung von Vergangenheit und Gegenwart zum Beispiel die Münchener Folge Der oide Depp zum Tatort-Meilenstein machte, wäre in Mauerpark weniger mehr gewesen: Mord, Kindesentführung, Berliner Zeitgeschichte, Erpressung und sexuelle Abhängigkeit – ein bisschen viel für neunzig Minuten Sonntagskrimi, in dem auch die Nebenfiguren noch mit Tiefgang versehen werden müssen. 

Letzteres gelingt – mit Ausnahme des Kindsmörders Kurt Bach, der sich in seiner eigenen Wohnung halbherzig inszeniertem Terror wütender Nachbarn ausgesetzt sieht und nur oberflächlich skizziert wird – passabel, geht aber spürbar auf Kosten der Spannungskurve, die erst in der letzten Viertelstunde nach oben ausschlägt. Bis dahin reiht sich Verdächtigenbefragung an Verdächtigenbefragung. Immerhin: Der Twist kommt spät, aber er kommt.

So bleibt Mauerpark als emotionaler, stark besetzter Tatort mit netter Schlusspointe in Erinnerung, der mit toller Bildsprache besticht, aber von seinem überladenen Drehbuch über weite Strecken ausgebremst wird.


Bewertung: 6/10

Das schwarze Haus

Folge: 814 | 16. Oktober 2011 | Sender: SWR | Regie: Thomas Bohn
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Bildend.

Wer ohne Erlaubnis am Bodensee angelt oder zu schnell Auto fährt, wird vielleicht irgendwann von den realen Kollegen der Konstanzer Tatort-Kommissare Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) direkt aufs Präsidium gebracht – ist bei Kenntnis des Films aber selbst schuld, denn die Kosten einer Angelerlaubnis und die Geschwindigkeitsbegrenzung erwähnen die beiden Ermittler in Das schwarze Haus schließlich mehr als einmal.

So viel Bildungsauftrag dürfte nicht nur den einen oder anderen Zuschauer ermüden: Auch Blum, die bei ihrem ersten Auftritt gedankenverloren in einem kleinen Boot auf dem Bodensee dümpelt, geht zwischenzeitlich die Puste aus ("Ich bin so gestresst, dass mir nicht mal mehr das Angeln Spaß macht.").

Anders als das Publikum, das die richtige Auflösung spätestens nach einer Stunde kennen dürfte, haben es die Kommissare in ihrem 17. gemeinsamen Fall aber auch nicht leicht: Ein Serientäter tötet in kurzen Abständen und holt sich die Ideen für seine perfiden Morde in den Büchern des Krimi-Autors Ruben Rath (Hannes Jaenicke, Atemnot): Sein erstes Opfer, der schmierige Künstler Martin Neumann (Manfred Böll), stirbt durch einen aufwändig arrangierten Stromschlag, ein weiteres stürzt durch einen manipulierten Hochsitz in eine Egge.

Mögliche Täter gibt es viele – Rath selbst, seinen autistischen Sohn Ferry (Jonathan Müller) und dessen Freundin Susanne Gauss (Annika Blendl, Wer Wind erntet, sät Sturm), die sich möglicherweise für einen sexuellen Übergriff an Neumann rächen und eine nervtötende Verehrerin loswerden wollte.

Auch die Vorstandsmitglieder des Kulturzentrums "Kulturfabrik", zu denen Neumann zählte, hegen Geheimnisse – und die Tatsache, dass sich alle untereinander kennen, übereinander tratschen und jeder jedem irgendetwas vorwirft oder schuldet, liefert Tatmotive im Überfluss. Wenngleich Perlmann eine große Anzahl Verdächtiger bei der ersten Tatort-Besichtigung  augenzwinkernd ausschließt.


BLUM:
Und wer kann sowas basteln? Muss das ein gelernter Elektriker sein?

KRIMINALTECHNIKER:
Nein, kann eigentlich jeder, der in Physik ein bisschen aufgepasst hat.

PERLMANN:
Also nur ganz wenige.


Regisseur und Drehbuchautor Thomas Bohn (Kalter Engel) legt allerdings großen Wert darauf, den öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag zu erfüllen und erklärt den Tathergang auch physikalisch weniger bewanderten Zuschauern.

Neben vielen mal mehr, mal weniger interessanten Fakten und Erklärungen findet er in seiner Geschichte auch Zeit für ein philosophisches Intermezzo, bei dem Blum und Perlmann darüber fachsimpeln, wie sich das Wesen eines Verdächtigen in der Wahl seines Haustiers widerspiegelt. Ähnlich spannende, wenn auch wissenschaftlich eher dünne Analysen durften die Konstanzer Ermittler bereits im enttäuschenden Vorgänger Im Netz der Lügen wagen.

Auch die Besetzung kommt einem bekannt vor: Constanze Weinig, die in Das schwarze Haus die arrogante Galeristin Simone von Sallari mimt, war eine Woche zuvor im Stuttgarter Tatort Das erste Opfer zu sehen. Hinzu kommt die ärgerliche Dopplung, dass in beiden Folgen Serientäter mit kreativen Mordmethoden am Werk sind. Bohn punket jedoch mit anderen Ideen: Das Mordmotiv ist zwar etwas überkonstruiert, aber angenehm schräg, und Klara Blum in Gummistiefeln bietet einen ebenso sympathischen wie amüsanten Anblick.

Das heimliche Highlight im 814. Tatort sind aber die frechen Seitenhiebe - zum Beispiel auf Sonntagskrimis im Allgemeinen ("Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag? Außer durch die Gegend fahren und den gleichen Leuten immer die gleichen blöden Fragen stellen?"), ewig negativ eingestellte Filmkritiker ("Wenn einen die Blödmänner vom Feuilleton öffentlich verreißen, dann ist man wer.") oder klugscheißende Krimi-Enthusiasten ("Ich kenne mich aus mit den Rechten von Verdächtigen. Ich bin Kriminalschriftsteller.").

Wer nach der Sichtung des Tatorts und dem Lesen dieser Rezension Lust aufs Angeln am Bodensee bekommen hat, sei gewarnt: Der Spaß ist in der Zwischenzeit teurer geworden, als Blum und Perlmann behaupten. 20 Euro zahlt man für eine Monatskarte "Angeln am Ufer", 40 Euro fürs Angeln am Ufer und im Boot (Stand: August 2016).

Damit hätte Wie war der Tatort? seinen Bildungsauftrag auch erfüllt. Gern geschehen.

Bewertung: 6/10

Das erste Opfer

Folge: 813 | 9. Oktober 2011 | Sender: SWR | Regie: Nicolai Rohde
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Kurzlebig – und das nicht nur im Hinblick auf die Mordopfer.

Denn in Das erste Opfer ist auch die anfängliche Hochspannung nur von kurzer Dauer: Einleitend verblutet Bauunternehmer Detlef Börner (Thomas Huber, Mord ist die beste Medizin), nachdem sein schmuckloser Bürocontainer im Rahmen einer atemberaubenden Eröffnungssequenz von einem Radlader zertrümmert wird. Restaurantbesitzerin Sigrun Karrenbrock (Constanze Weinig, Château Mort) ergeht es später kaum besser: Sie wird überfallen, gefesselt und von einem Auto überfahren.

Was zunächst nach zwei voneinander unabhängigen Todesfällen aussieht, entpuppt sich bald als Rachefeldzug eines einzelnen Mörders, dem krimierprobte Zuschauer allerdings schnell auf die Schliche kommen dürften: Die Stuttgarter Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) bittet die Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) zwar darum, die beiden Fälle getrennt voneinander zu bearbeiten, doch gefühlte drei Minuten später ist dieser Auftrag schon wieder hinfällig, weil die Ermittler den entscheidenden Hinweis zur Verbindung der Toten finden.

Wer sich nur für die Auflösung des Krimis interessiert, dürfte angesichts der früh vorhersehbaren Schlusswendung eine Enttäuschung erleben – eine weitere Schwäche sind die mitunter ziemlich hölzernen Vernehmungen, die vor allem in der ersten Filmhälfte wie am Reißbrett entworfen wirken und auch den angestrebten Dialogwitz vermissen lassen. Exemplarisch dafür sei die Befragung des tatverdächtigen Heiner Horsch (Peter Kremer, Roomservice) genannt:


HORSCH:
Mordkommission! Hab' ich jemanden umgebracht?

LANNERT:
Schauen wir mal, Herr Horsch.


Dennoch lohnt sich das Einschalten, weil der neunte Fall des Teams aus dem "Ländle" andere originelle Einfälle bietet: Besonders die spektakulären Mordmethoden und die rätselhaften Hinweise, die der Mörder seinen späteren Opfern schickt, heben sich angenehm von dem ab, was der Zuschauer sonst in sonntäglichen Durchschnittskrimis serviert bekommt.

Der ausführlich illustrierte Handlungsstrang um die zunehmend zerrütteten Familienverhältnisse von Rechtsanwalt Michael Joswig (Hans Werner Meyer, Blutschrift), Ehefrau Nadine (Julika Jenkins, Fünf Minuten Himmel) und Töchterchen Hanna (Nina Gummich, Heimwärts) bringen Emotionen in die Geschichte, während das Privatleben der Ermittler diesmal wenig Aufregendes bietet: Lannert befreit seinen Porsche jeden Morgen von Unrat, den ihm offenbar ein argwöhnischer Nachbar (Heinrich Giskes, Tod auf dem Rhein) auf die Windschutzscheibe schüttet, der überforderte Bootz hingegen kümmert sich daheim um die Kinder, weil seine Frau verreist ist.

Der gestresste Vater kommt zu spät zur Arbeit und bespricht den Fall schon mal beim gemeinsamen Wäschefalten mit Lannert – eine köstlich überzeichnete Szene. Ähnliche Haushaltshilfe von Lannert kennen wir aus späteren Folgen (vgl. Eine Frage des Gewissens), in denen der dann getrennt von seiner Ex-Frau lebende Bootz seinen Alltag nur mit Hilfe seines Kollegen meistert.

Besonders positiv fällt in Das erste Opfer jedoch Nika Banovic (Miranda Leonhardt) auf: Während die Kriminaltechnikerin in den meisten Stuttgarter Tatort-Folgen eher ein Schattendasein fristet, gestehen ihr die Drehbuchautoren Stephan Brüggenthies (Das Mädchen Galina), Leo P. Ard (Todesspiel) und Birgit Grosz (Schmuggler) auffallend viel Kamerapräsenz zu, bei der Banovic mehrere Gemütszustände authentisch durchlebt. Die naive Flirterei mit dem computeraffinen Rico (Johannes Allmayer, Der hundertste Affe) ist zwar nicht hundertprozentig glaubwürdig, aber sympathisch.

Kleinere Drehbuchschwächen und inhaltliche Fehler sind da zu verschmerzen: Warum die Polizei beispielsweise in der Villa des hinterrücks auf seiner Couch betäubten Joswig Kampfspuren findet, bleibt das Geheimnis der Filmemacher.

Bewertung: 6/10

Borowski und die Frau am Fenster

Folge: 812 | 2. Oktober 2011 | Sender: NDR | Regie: Stephan Wagner
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Perfekt. Zumindest fast.

Denn dem muffeligen Eigenbrötler Klaus Borowski (Axel Milberg) in diesem starken Fall erstmalig die freche Ermittlerin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) zur Seite zu stellen, erweist sich schnell als Glücksgriff. Gegen die Wand-Star Kekilli darf den norddeutsch-unterkühlten Kommissar in ihrer neuen Rolle immer wieder aus der Reserve locken und ihm am Ende gar mit Bravour das Leben retten.

Nachdem sich die beiden bereits im Vor-Vorgänger Borowski und eine Frage von reinem Geschmack kennenlernen und ein wenig beschnuppern durften, begegnen sich Brandt und Borowski nun erstmalig in der Polizeikantine: Das Aufeinandertreffen fällt herrlich wortkarg aus und bildet zugleich den Auftakt zu einer ganzen Reihe subtil humorvoller Wortwechsel.

Einzig der kurze Bewerberkampf um die vakante Position an Borowskis Seite, der bei Dr. House-Fans Erinnerungen an die vierte Staffel der damaligen US-Erfolgsserie wecken dürfte, glückt nicht ganz: Brandt sticht ihre männliche Konkurrenz ein wenig zu locker aus und wirkt mit ihren eindrucksvollen Hacker-Kenntnissen einleitend wie ein müder Abklatsch von Stieg Larssons Millenium-Trilogie-Protagonistin Lisbeth Salander.

Ansonsten macht Ausnahmeautor Sascha Arango (Der kalte Tod, Borowski und der Engel) beim Drehbuch zu Borowski und die Frau am Fenster alles richtig: Sein fast schon typischer Verzicht auf das gewohnt Whodunit-Schema ist notwendig, um der herausragenden Schweizer Filmpreis-Nominierten Sibylle Canonica (Das Recht, sich zu sorgen) als titelgebender Frau am Fenster ausgiebig Platz zur Entfaltung einzuräumen.

Deren psychopathische Tierärztin Charlotte Delius ist ohnehin die einzige ernstzunehmende Verdächtige und für den Zuschauer daher wie zu besten Columbo-Zeiten als Mörderin von Beginn an bekannt.

Insbesondere beim elektrisierende Finale, in dem Borowski die Vergangenheit der vereinsamt lebenden Medizinerin gnadenlos aufrollt, und den hochspannenden Sequenzen im Hause des ahnungslosen, trauernden Nachbarn läuft Canonica als eiskalte Wahnsinnige, um deren Beweggründe sich lange Rätsel ranken, zu großer Form auf.

Und Arango landet bei seinem Drehbuch einen weiteren Volltreffer: Die Sequenzen in Borowskis provisorischer Männer-WG mit seinem von Frau und Kind verlassenen Chef Roland Schladitz (Thomas Kügel) sind schlichtweg köstlich und überschreiten erst kurz vor dem Abspann die Grenze zur Albernheit.

Bewertung: 9/10

Auskreuzung

Folge: 811 | 25. September 2011 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Gentechnisch.

Auskreuzung ist nämlich ein neunzigminütiger Crash-Kurs in Biologie – aber leider alles andere als ein gelungener Tatort. Einmal mehr wird der Zuschauer Zeuge, wie die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bemüht ein tagesaktuelles Streitthema abarbeiten müssen – hier die böse Gentechnik und deren Nutzen für die profitgierige Pharmaindustrie.

Das wäre zu verkraften, wenn Drehbuchautor Karl-Heinz Käfer (Bittere Mandeln) seine Geschichte um die titelgebende Auskreuzung im Versuchslabor und die fanatischen Feldbefreier an der Ackerfront zumindest in einen spannenden Krimi verpackt hätte, doch der 811. Tatort ist von vorne bis hinten ein langweiliges Ärgernis.

Der einleitende Leichenfund im Kölner Kehrmann-Bredel-Institut ist dabei fast noch das Einfallsreichste: Eine junge Pflanzenforscherin führt nachts Experimente durch, und als am nächsten Morgen das Licht angeht, liegt sie kopfüber und tot in einer Gefriertruhe.

Ein origineller und atmosphärisch ansprechender Auftakt, doch in der Folge hagelt es Forschungskritik zum Fremdschämen und reihenweise aufgesetzte Dialoge. Zum Beispiel dann, wenn sich Schenk beim verdutzten Kneipenwirt nach dem Kartoffelursprung seiner Pommes erkundigt oder sich Ballauf von Labortechnikerin Lara Bahls (Luise Berndt) den Begriff "Zeitreihenversuch" erklären lässt.

Auch in der Folge stellt der deutlich liberaler als sein Kollege eingestellte Kommissar eine pseudointeressierte Frage nach der nächsten, um dem ahnungslosen Zuschauer die Wissenschaft etwas näher zu bringen, während Schenk – wie könnte es anders sein – den kritischen Gegenpart für eine möglichst differenzierte Aufarbeitung der Thematik einnimmt.


BALLAUF:
Was war das denn jetzt, Biologiestunde?


SCHENK:
Hintergrundrecherche.


Spannend ist das alles zu keinem Zeitpunkt, und auch der großartige Tom Schilling (Am Ende des Tages) ist in seiner eindimensionalen Rolle als fanatischer Feldbefreier und Umweltaktivist völlig verschenkt.

Regisseur Torsten C. Fischer (Der Fall Reinhardt) inszeniert eine viel zu konstruierte und überfrachtete Geschichte – das zeigt sich exemplarisch am Handlungsstrang um Ballaufs vermeintlichen Sohn Finn Weber (Kai-Peter Malina, Gestern war kein Tag), der eines Tages beim Kölner Kommissar auf der Türschwelle sitzt.

Na klar,  Genetik gibt es nicht nur bei Pflanzen, sondern auch beim Menschen – und da bietet es sich offenbar an, mit der Brechstange eine mehr als dünne Vaterschaftsstory mit in den Tatort zu quetschen.

Ballauf, der sich prompt von Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) einen persönlichen Vaterschaftstest liefern lässt, wirkt in diesen Szenen so gealtert wie nie zuvor – und reagiert nach anfänglicher Abneigung natürlich höchst verständnisvoll, als sein selbsternannter Nachkomme sternhagelvoll ins Gästezimmer pullert ("Soll ich dir was sagen? Ist mir auch schon mal passiert.").

Die einzige interessante Figur ist aber nicht der junge Teppichnässer, sondern Molekularbiologin Bahls ("Genetisch gesehen sind Menschen und das Blasenmützenmoos gar nicht so unterschiedlich."), die hin- und hergerissen zwischen Laborpräzision und Hippie-Romantik reichlich Platz zur Entfaltung bekommt.

Dennoch ist Auskreuzung unter dem Strich ein typischer Kölner Tatort aus dem Jahr 2011: belehrend, kritisch und diskussionsfreudig, aber leider selten originell oder fesselnd. Selbst bei der Antwort auf Ballaufs Vaterschaft windet sich Drehbuchautor Käfer aus der Affäre – man hätte diesen Nebenkriegsschauplatz einfach streichen sollen. So sind die nackten Brüste von Lichtblick Luise Berndt in diesem schwachen Tatort fast noch das Aufregendste.

Bewertung: 3/10

Zwischen den Ohren

Folge: 810 | 18. September 2011 | Sender: WDR | Regie: Franziska Meletzky
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Geschlechterfixiert.

Wie ziehen sich Männer den Pulli aus, wenn es ihnen zu warm wird? Wie machen es Frauen? Was macht einen Mann zum Mann? Wo liegt seine innere Mitte? Und was genau ist eigentlich Intersexualität?

Diese und ähnliche Fragen prägen den zwanzigsten Fall von Hauptkommissar und St. Pauli-Fan Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers). Doch der Tatort aus Münster wäre nicht der Tatort aus Münster, wenn nicht auch noch zwei Running Gags im Plot untergebracht würden: Während Thiel auf der heimischen Couch geduldig versucht, noch Tage nach dem längst feststehenden Endergebnis eine Aufzeichnung des Pokal-Hits St. Pauli gegen Bayern nachzuholen (und dabei natürlich ständig unterbrechen muss), wird Boerne in Zwischen den Ohren eine ganz besondere Ehre zuteil – er wird mit dem prestigeträchtigen Wissenschaftspreis ausgezeichnet.

Zur Preisverleihung begleiten darf ihn – aus Mangel an weiblichen Alternativen – seine Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch), die anerkennend registriert, dass sich ihr Chef bei der Dankesrede mal wieder selbst übertrifft, weil er am Ende doch nicht die Fassung verwendet, die er bei einem köstlichen Monolog vor dem Spiegel in seiner Wohnung einstudiert hatte.

Boernes Selbstbeweihräucherung bei der Generalprobe ist die zweitbeste Szene in einem gewohnt kurzweiligen Tatort aus Westfalen: Die witzigste bleibt eindeutig der alkoholschwangere Männerabend nach Boernes Triumph, bei dem die beiden Ermittler fleißig um die Wette lallen und spontan Brüderschaft trinken. Ohne Knutschen, versteht sich.

Einmal mehr gehen die zahlreichen Gags und die amüsanten Nebenkriegsschauplätze aber zulasten der Spannung, die sich in Zwischen den Ohren von Minute 1 bis 90 nicht einstellen will. Das Drehbuch des eingespielten Duos Christoph Silber (Auf der Sonnenseite) und Thorsten Wettcke (Schweinegeld) versorgt das Sonntagspublikum zwar mit dem nötigen medizinischen Grundwissen, um überhaupt verstehen zu können, was der Alltag für einen im Volksmund "Zwitter" getauften Menschen – hier: Nachwuchs-Tennisstar Nadine Petri (Anna Bullard, Das Mädchen Galina) – bedeutet, erlaubt sich aber gleich eine Handvoll kratergroßer Logiklöcher.

Exemplarisch dafür steht der Fund der Leiche, von der "Vaddern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) zunächst nur den von einer Schiffsschraube abgetrennten Fuß aus einem See angelt: Lässt die Kripo das Gewässer danach absperren? Werden Taucher in den See geschickt, um den Rest des Torsos zu suchen und bergen? Weit gefehlt.

Stattdessen ist es tatsächlich Thiels Erzeuger, der bei einem erneuten nächtlichen Angelausflug zufällig auf die im Wasser treibende Leiche stößt. Das ist schlichtweg hanebüchen – und wie so oft nur zu verschmerzen, weil Mord und Täterfrage im Tatort aus Münster traditionell eine untergeordnete Rolle spielen und der Rest der Geschichte so unterhaltsam ausfällt.

Da kann man auch über die angeblich herausragenden Tennisfähigkeiten von Nachwuchshoffnung Petri, die Bälle mit meterhohem Abstand über die Netzkante Richtung Nachbarplatz returniert, nur schmunzeln.

Bewertung: 7/10

Tod einer Lehrerin

Folge: 809 | 11. September 2011 | Sender: SWR | Regie: Thomas Freundner
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Afrikanisch.

Tod einer Lehrerin macht es sich nämlich in erster Linie zur Aufgabe, dem Zuschauer die Sitten und Gebräuche unserer afrikanischen Mitmenschen – hier: Somalia-Auswanderer – näherzubringen, die sich in Ludwigshafen regelmäßig im Deutsch-Afrikanischen Begegnungszentrum treffen.

Dort verkehrt auch die Familie der schweigsamen Schülerin Eshe Steger (Corazon Herbsthofer), deren Lehrerin – der Krimititel legt es bereits nahe – einen grausamen Salzwassertod in der eigenen Wohnung stirbt und zu der die junge Afrikanerin offenbar einen besonders guten Draht hatte.

Daher dauert es auch nicht lange, bis Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihr langjähriger Kollege Mario Kopper (Andreas Hoppe) im Begegnungszentrum aufschlagen und sich mehr (Odenthal, die gleichmal vom Buffet probiert) oder weniger (Kopper, der grad ganz andere Sorgen hat) mit der afrikanischen Kultur und den ins Leben gerufenen Hilfsprojekten auseinandersetzen.

Natürlich liegt hier auch der Schlüssel zur Auflösung der Täterfrage, doch wird man das Gefühl nicht los, dass es im 809. Tatort am Ende eigentlich gar nicht mehr darum geht, wer die Lehrerin auf dem Gewissen hat, sondern vielmehr darum, ob das Ermittlerteam die kleine Meeka (Emisya Valeta) noch in letzter Sekunde vor der Zwangsbeschneidung – auch weibliche Genitalverstümmelung genannt – bewahren kann. Die nämlich "gibt es auch in Deutschland" – ein Satz, der in Tod einer Lehrerin gleich mehrfach fällt, damit es am Ende auch wirklich der letzte Zuschauer verinnerlicht hat.


ODENTHAL:
Da hört's bei mir mit Toleranz auf.


Zweifellos ein ehrenwertes Unterfangen, dem Zuschauer diese grausame, noch immer viel zu weit verbreitete Praxis näherzubringen, doch Regisseur und Drehbuchautor Thomas Freundner (Tote Erde) versteht es erst auf der Zielgeraden, auch Spannung aus seiner wichtigen Thematik zu schöpfen.

Das liegt auch daran, dass er den Plot mit einer halbgaren, furchtbar schmalzigen Vaterschaftsgeschichte überlädt und den vermeintlichen Vater Mario Kopper beim gemeinsamen WG-Grappa mit Mitbewohnerin Lena in Erinnerungen an dreißig Jahre zurückliegende Sexabenteuer am Strand schwelgen lässt.

Dass seine mutmaßliche Tochter Marie (Claudia Eisinger, Zorn Gottes) zufällig als Referendarin an derselben Schule unterrichtet wie die verstorbene Lehrerin und demonstrativ eine selten dämliche Goldkette mit der Aufschrift "MARIO" um den Hals baumeln hat, macht diesen Nebenkriegsschauplatz nur noch unglaubwürdiger und Tod einer Lehrerin damit kaum besser.

Andererseits: Man hätte dem enttäuschten Kopper die Tochter am Ende fast gewünscht. Dann wäre in den Folgefolgen aus Ludwigshafen vielleicht endlich mal wieder ein bisschen Leben in die gemeinsame Odenthal-Kopper-Bude gekommen.

So ist in der Stadt am Rhein, in der neben der BASF offenbar auch noch ein Großkonzern namens "Lupharm" ansässig ist, am Ende leider wieder alles beim Alten: Kopper bleibt kinderloser Junggeselle und der Tatort trotz einer charismatischen Performance von Wolfgang Michael (Wie einst Lilly) als Enno Steger und einem souveränen Auftritt der späteren Göttinger Tatort-Kommissarin Florence Kasumba (Der illegale Tod) als dessen Scheinehefrau Dafina vieles schuldig.

Bewertung: 4/10

Altes Eisen

Folge: 808 | 4. September 2011 | Sender: WDR | Regie: Mark Schlichter
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Kölnfixiert – denn selbst bei einer Toilettenpause oder laut knuspernden Chips im Mund ist es eigentlich kaum möglich, die zahlreichen Anspielungen auf den Schauplatz der 808. Tatort-Folge zu verpassen.

Pünktlich zu seinem 50. gemeinsamen Fall soll das altgediente Ermittlerduo Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) getrennt werden, denn Ballauf liegt ein Job-Angebot vom Bundeskriminalamt in Wiesbaden vor. Schenks schlagendes Argument, um seinen Partner in Köln zu halten: dessen schöne Wohnung.


SCHENK:
Domblick. Was will man mehr vom Leben?


Auch der zu lösende Mordfall ist gespickt mit Lokalkolorit: Die Hausbesitzerin Erika Roeder (Marie-Anne Fliegel, Nasse Sachen) wurde ermordet. Schnell stellt sich heraus, dass sie schon lange versucht hatte, ihre beiden letzten verbleibenden Mieterinnen Gerda Felten (Heide Simon, Ohne Beweise) und Trudi Hütten (Edgar Selge, Machtlos) zum Auszug zu bewegen.

Die bettlägerige, depressive Gerda und die transsexuelle Trudi passen einfach nicht mehr in den zum Szeneviertel mutierenden Bezirk – in Altes Eisen wird er natürlich "Veedel" genannt (so wie auch später in Wacht am Rhein), denn wir sind hier schließlich in Köln. Da dürfen auch der eine oder andere Seitenhieb auf die rechtsrheinische Seite, in der unter anderem die bösen Medienunternehmen ansässig sind, und Aussagen wie "immer das Gleiche hier in Köln" nicht fehlen.

Obwohl mit Frank Roeder (Aljoscha Stadelmann, Spiel auf Zeit), dem Sohn der Toten, seiner Freundin Sophie (Henny Reents) und dem windigen Wettbürobesitzer Peter Stamm (Tobias Oertel, Happy Birthday, Sarah) noch weitere Verdächtige eingeführt werden, liegt der Fokus deutlich auf den Themen Gentrifizierung und Diskriminierung.


HÜTTEN:
Ach, Herr Ballauf, du musst gar nicht um den heißen Brei herumreden. Ich weiß doch, dass ich verdächtig bin.


BALLAUF:
Warum?

HÜTTEN:
Weil ich eben so bin, wie ich bin.


SCHENK:
Was sind Sie denn?

HÜTTEN:
Früher war ich ein Mann und jetzt bin ich eine Frau. Jedenfalls dem Namen nach. Steht sogar in meinem Personalausweis.


Ein ähnlich steifes Frage-Antwort-Spiel, bei dem der WDR offenbar seinem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag gerecht werden will, findet einige Szenen später zwischen Trudi Hütten und Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) im Hinblick auf das Transsexuellen-Gesetz und die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Geschlechtsumwandlungen statt.

Drehbuchautor Mario Giordano (Todesschütze) gibt zwar einen groben Überblick über die Fakten, die unnatürlich wirkenden Dialoge und die starke Fixierung auf die transsexuelle Figur hemmen jedoch die Spannung. Da hilft es wenig, dass Dauersingle Ballauf der vermeintlichen Liebe seines Lebens begegnet und die ganze Folge miesepetrig durch die Verhöre schleicht, als er erfährt, dass seine Affäre – die Polizeipsychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler, Keine Polizei) – verheiratet ist.

Rosenberg taucht nach Altes Eisen noch mehrmals im Kölner Tatort auf – unter anderem in Wahre Liebe und Narben. Auch die anderen Nebendarsteller sind in der deutschen Fernsehlandschaft keine Unbekannten: Henny Reents und Tobias Oertel sind beide als Ermittler in anderen ARD-Krimireihen zu sehen, und der gewohnt glänzend aufgelegte Edgar Selge war von 2001 bis 2009 Polizeiruf 110-Kommissar in München. Interessante Parallele: Selges Figur Jürgen Tauber quittierte den Polizeidienst, weil er wiederholt aufgrund seiner Homosexualität gemobbt wurde.

Die beiden Kölner Hauptkommissare wirken in ihrem Jubiläumsfall aber eher amtsmüde als unglücklich: Während Ballauf zum wiederholten Mal seine Lebensplanung überdenkt (vgl. Mutterliebe), sorgt Schenk mit Sticheleien gegen seinen Kollegen ("Ist ja auch nichts für dich, in deinem Alter!") und halbgaren Floskeln für gereizte Stimmung ("Manchmal habe ich so die Nase voll von diesem ganzen Dreck. Wie oft habe ich das schon gesagt seit wir uns kennen?" - "Eine Million Mal.").

Auch eines der ekligsten Nasenbluten der Tatort-Geschichte erspart Regisseur Mark Schlichter (Familienaufstellung) den Zuschauern nicht – inszeniert unter dem Strich aber einen soliden, wenn auch für ein Jubiläum relativ unspektakulären Whodunit, der mit einer unverbrauchten Themenwahl punktet.

Bewertung: 5/10

Lohn der Arbeit

Folge: 807 | 28. August 2011 | Sender: ORF | Regie: Erich Hörtnagl
Bild: rbb/ORF/Bernhard Berger
So war der Tatort:

Fellnerfrei.

Nicht wenige Zuschauer dürften sich bei der Erstausstrahlung von Lohn der Arbeit fragend am Hinterkopf kratzen: Wo steckt Bibi Fellner (Adele Neuhauser), die exzentrische neue Partnerin des Wiener Sonderermittlers Moritz Eisner (Harald Krassnitzer)?

Schon zweimal durfte ihm die sympathische Alkoholikerin in Vergeltung und Ausgelöscht unter die Arme greifen – nun ist aber plötzlich wieder Inspektor Franz Pfurtscheller (Alexander Mitterer) mit von der Partie, dessen neunter Tatort-Auftritt zugleich sein letzter ist.

Der vermeintliche Personalwechsel ist aber gar keiner: Lohn der Arbeit fand erst mit Verspätung den Weg ins TV-Programm und wurde zu einem früheren Zeitpunkt abgedreht als die zwei genannten Folgen mit Fellner. Allzu schwer wiegt Pfurtschellers Abschied allerdings nicht, denn Fellner ist die um Längen interessantere Figur. Seine Telefonate mit seiner dementen Mutter erweisen sich diesmal als seichter Bremsklotz in einem Krimi, in dem sich Regisseur Erich Hörtnagl und Drehbuchautor Felix Mitterer (Baum der Erlösung) ganz dem Thema Schwarzarbeit widmen, ohne diesem neue Aspekte abzugewinnen.

Einleitend wird Baulöwe Wolfgang Kogl (Michael König, Atemnot) erschlagen auf einer Baustelle aufgefunden – er hatte dort über den schmierigen Subunternehmer Erwin Filzer (Alexander Strobele, Inflagranti) illegal Mazedonier beschäftigt und so ziemlich alle Beteiligten um ihren Lohn der Arbeit gebracht.

Tatverdächtige gibt es im Überfluss: Neben den gelinkten Bauarbeitern Flamur (Mustafa Nadarevic) und Dimitar Besad (Branko Tomovic, Der große Schmerz), die sich die Kohle bei Kogls Ex-Frau Helga Brugger (Krista Posch, Kolportage) wiederholen wollen, geraten auch Firmenerbe Hubert (Max von Thun, Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen) und Witwe Cornelia Kogl (Hilde Dalik) ins Visier der Ermittler.

Und dann ist da noch der ebenso überzeichnete wie sich selbst überschätzende Journalist Markus Feyersinger (George Lenz, Ein Sommernachtstraum).


FEYERSINGER:
Ich war der Überzeugung, ich kann den Mächtigen auf die Füße steigen!


Mögen seine Aktivitäten zunächst nach investigativem Journalismus zum Wohle der Allgemeinheit klingen, entpuppt sich Feyersinger bei genauerem Hinsehen schon bald als Figur, die wir schon viele Male im Tatort gesehen haben: Journalisten haben bei den Drehbuchautoren der Krimireihe traditionell einen schweren Stand, weil sie grundsätzlich Dreck am Stecken haben oder wenig ehrenwerte Ziele verfolgen (vgl. Durchgedreht u.v.a.).

Das ist im 807. Tatort nicht anders: Der zu allem Überfluss mit einem dämlichen Klischee-Anglerhut ausgestattete Feyersinger ist stets auf der Jagd nach dem nächsten Skandal, sammelt damit einen Antipathiepunkt nach dem nächsten und legt seine Kamera nur im Notfall aus der Hand.

Überzeugende Bilder schießt aber vor allem Kameramann Duli Diemannsberger (Nie wieder Oper): Lohn der Arbeit spielt nicht nur auf tristen Baustellen (das Polizeipräsidium eingeschlossen), sondern auch in der idyllischen Natur der Tiroler Berge, bei der die Kamera schon mal ein halbes Dutzend Kühe mampfend vor einer schmucken Dorfkirche einfängt.

Diese vermeintliche Gemütlichkeit ist jedoch nur eine Momentaufnahme: Spannend gestaltet sich vor allem die parallel zu den Ermittlungen erzählte Odyssee der zwei flüchtigen und hungernden Mazedonier, die erst in einer entfernt an Quentin Tarantinos Inglourious Basterds erinnernden Sequenz bei der Flucht auf eine grüne Wiese von den Ermittlern eingeholt werden.

Nicht nur hier zeigt sich, dass das Gipsbein von Moritz Eisner, das den Wiener Sonderermittler zur Arbeit auf Krücken verdammt, in diesem Tatort nur schmückendes Beiwerk ist: Statt den Ermittler in Schlüsselmomenten oder bei der Jagd des Täters entscheidend auszubremsen, humpelt sich Eisner gemütlich von Verhör zu Verhör, ohne dass sein Handicap die Handlung nennenswert beeinflussen würde. Das haben wir in Unvergessen oder Kein Entkommen, in denen sich Eisner gesundheitlich ebenfalls schwer angeschlagen zeigt, schon konsequenter und unterhaltsamer gesehen.

So hieven den Krimi vor allem zwei gelungene Wendungen im Schlussdrittel und der überraschend pessimistische Ausklang der Geschichte ins solide Mittelmaß.

Bewertung: 5/10

Wunschdenken

Folge: 806 | 14. August 2011 | Sender: SF | Regie: Markus Imboden
Bild: SWR/SF/Thomi Studhalter
So war der Tatort:

Um die nervtötenden One-Liner der amerikanischen Ermittlerin Abby Lanning (Sofia Milos) aufzugreifen: totally ridiculous.

Zehn lange Jahre mussten die Tatort-Fans auf einen neuen Schweizer Kommissar warten – doch das Debüt von Stefan Gubser als Reto Flückiger, der bei seinem ersten Fall Hollywood-Export Milos zur Seite gestellt bekommt, geht vollkommen in die Hose.

Die TV-Premiere von Wunschdenken steht von Beginn an unter keinem guten Stern: Eigentlich sollte die Erstausstrahlung im Frühjahr 2011 erfolgen, doch das Schweizer Fernsehen zog den Krimi wegen "qualitativer Mängel" zurück und ließ ihn sogar nachsynchronisieren.

Bereits die unbeholfene Einleitung im Luzerner Präsidium, in der Flückiger mit dem Parkplatzwächter aneinandergerät und sich bei seinem neuen Chef und alten Freund Ernst Schmidinger (Andrea Zogg, Der Polizistinnenmörder) vorstellt, gipfelt in einem Feuerwerk unfreiwilliger Komik. Die Nachsynchronisierung ist dermaßen offensichtlich, dass der Zuschauer sich vorkommt wie in einem stümperhaft übersetzen, drittklassigen Skandinavien-Krimi.

Die Einführung von Reto Flückiger, der zur Thurgauer Kantonspolizei-Zeiten in Seenot, Der Polizistinnenmörder und Der schöne Schein mit der Konstanzer Kollegin Klara Blum zusammen arbeiten durfte, gerät spätestens bei einer völlig unglaubwürdigen Hotelbettszene zum Desaster.

Richtig peinlich wird es nämlich schon ab dem Zeitpunkt, an dem die aufgedonnerte, griechisch-italienische Schauspielerin Sofia Milos als Abby Lanning, die den Schweizer Kommissar alsbald in die Horizontale bittet, die Bildfläche betritt: Mit brauner Tussen-Sonnenbrille, einladendem Dekolleté und knallenger Lederjacke stolziert die aus CSI: Miami bekannte Darstellerin durch Luzern und scheint in jeder Sequenz innerlich zu schreien:

Eigentlich gehöre ich nach Hollywood - und nicht in den Tatort!

Der eigentliche Fall um eine Wasserleiche und die Entführung eines millionenschweren Top-Politikers gerät aber auch angesichts der künstlichen Hochglanz-Optik, häufig unpassender Musik und dem selten stimmigen Timing schnell aus dem Fokus. Beispielhaft dafür steht die Geldübergabe am Hauptbahnhof, die gehöriges Spannungspotenzial mitbringt, am Ende aber gähnend langweilig ausfällt.

Ein Gutes hat Wunschdenken aber doch: Der erste wird zugleich der letzte Tatort mit Sofia Milos bleiben.

Bewertung: 1/10

Im Abseits

Folge: 805 | 19. Juni 2011 | Sender: SWR | Regie: Uwe Janson
Bild: SWR/Krause-Burberg
So war der Tatort:

Stets bemüht.

Bemüht, mit Vorurteilen gegenüber Frauenfußball und in Deutschland lebenden Muslimen aufzuräumen.

Bemüht, den Liga-Alltag des fiktiven FC Eppheim in einen halbwegs glaubwürdigen Sonntagskrimi zu verpacken.

Und vor allem bemüht, pünktlich zum Auftakt der Frauen-Fußball-WM im eigenen Land beim öffentlich-rechtlichen Fernsehzuschauer Interesse an einem Sport zu wecken, der 2011 trotz zahlreicher EM- und WM-Titel der deutschen Fußball-Damen noch immer auf den ersehnten Durchbruch wartet. Schließlich stehen in den Folgewochen nach der Erstausstrahlung von Im Abseits hochklassige Live-Übertragungen von Top-Spielen wie Nordkorea-Kolumbien (live aus Bochum, Endstand 0:0) oder Norwegen-Äquatorialguinea (live aus Augsburg, Endstand 1:0) auf dem Programm.

Das sportliche Enttäuschen der DFB-Frauen kann man Drehbuchautor Jürgen Werner (schreibt in den Jahren danach viele tolle Geschichten für den Dortmunder Tatort) kaum vorwerfen – wohl aber einen inhaltlich wie dramaturgisch völlig missglückten Tatort-Beitrag zur in den Medien ohnehin schon künstlich suggerierten Frauenfußballbegeisterung, von der im Juni 2011 auf den Straßen und in den Kneipen der Bundesrepublik spätestens nach dem Ausscheiden von Nadine Angerer, Birgit Prinz & Co. gegen den späteren (hochverdienten) Weltmeister Japan herzlich wenig zu spüren war.

Nachdem bereits Ex-Bundestrainer Berti Vogts 1999 einen kurzen, aber legendären Kaninchen-Auftritt im Hamburger Tatort Habgier hingelegt hatte, setzen die Filmemacher im 805. Tatort zwölf Jahre später noch einen drauf: Neben WM-OK-Präsidentin Steffi Jones und Nationalspielerin Célia Okoyino da Mbabi sind auch Bundestrainer Jogi Löw, Oliver Bierhoff und Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger in Gastrollen zu sehen.

Dass die Fußball-Offiziellen trotz aller Medienerfahrung die hohe Schauspielkunst nicht neu erfinden, überrascht kaum – wohl aber, dass ihr Auftritt tatsächlich noch unfreiwillig amüsanter ausfällt als der des einstigen "Terriers".

Spätestens, nachdem Zwanziger seinen Kollegen mit bedeutungsschwangerer Trauermiene vom Tode Fadime Güclüs – dem wenig subtilen Tatort-Pendant zum damaligen DFB-Aushängeschild Fatmire Bajramaj – in Kenntnis setzt, kann Im Abseits als Krimi kaum noch ernst genommen werden.

Die überheblichen Machosprüche von Hauptkommissar Mario Kopper (Andreas Hoppe) und die vehementen Plädoyers für den Frauenfußball von Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) retten da unterm Strich nur sehr wenig – viel origineller wäre es doch genau andersrum gewesen.

So scheitert Im Abseits sowohl als PR-Streifen als auch als Krimi – und einzig der gute Wille aller Beteiligten bewahrt den Film haarscharf vor unserem zweifelhaften Prädikat Totalausfall.


KOPPER:
Es gibt'n guten Grund, warum der DFB Frauenfußball bis Anfang der 70er Jahre verboten hat.

ODENTHAL:
Weil die Frauen mehr Weltmeistertitel hätten als die Männer.


Bewertung: 2/10

Theo - lass uns nach Eppheim fahren!

Nasse Sachen

Folge: 804 | 13. Juni 2011 | Sender: MDR | Regie: Johannes Grieser
Bild: MDR/Steffen Junghans
So war der Tatort:

Kalt.

Denn als wäre ein Mordfall nicht schon anstrengend genug, müssen sich die Leipziger Hauptkommissare Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) in Nasse Sachen auch noch mit ziemlich frostigen Temperaturen herumschlagen. Praktischerweise haben zwei Müllmänner, die das Abwerfen einer Leiche beobachtet haben, eine Jacke für den frierenden Keppler dabei.

Die Stimmung im Ermittlerteam ist ebenfalls unterkühlt: Saalfeld und Keppler scheuchen mal wieder den bedauernswerten Kriminaltechniker Menzel (Maxim Mehmet) durch die Gegend und auch Dr. Zinner (Stephanie Schönfeld, Auswegslos), die Urlaubsvertretung von Pathologe Dr. Reichau (Kai Schumann), kann sich den einen oder anderen bissigen Spruch nicht verkneifen.

Schnell wird klar, dass der 804. Tatort kein üblicher Whodunit ist: Zu schnell tun die Ermittler eine Verbindung des ermordeten Jannis Kerides nach Zypern auf – und da das Opfer Autohändler ist, kann es sich dabei selbstredend nur um illegale Autoschiebereien handeln. Keppler und Saalfeld finden in einer Garage gestohlene Autos – natürlich im Alleingang, bei dem Keppler einen Mann ohne erkennbaren Grund k.o. schlägt, während Saalfeld einen Autoschieber ins Koma schießt und vom Dienst suspendiert wird.

Wie TV-Kommissare das nun mal tun, spaziert sie natürlich auch weiterhin im Präsidium herum, beteiligt sich gegen den Willen ihres Vorgesetzten an den Ermittlungen und wird schon bald wieder entlastet – hier wirkt nicht nur die Tatsache, dass der Angeschossene offenbar eine Waffe von außen in ein offenes Autofenster hat fallen lassen, arg konstruiert.
In der zweiten Hälfte bringen Jörg Hartmann (Spargelzeit) und Claudia Michelsen (Unter Druck), später beide selbst als Ermittler für den Tatort bzw. Polizeiruf 110 im Einsatz, dann etwas Licht in die ansonsten eher triste Folge.

Michelsen glänzt als Karla Rimbach, deren Vater die Ermittler für den Mörder halten. Einer seiner letzten Besucher war Thomas Kramm (Hartmann), der Rimbach verdächtigt, etwas mit dem Verschwinden seines Vaters im Jahre 1983 zu tun zu haben. Obwohl seiner Figur nur wenige Szenen eingeräumt werden und der mühsam sächselnde Hartmann in seiner eindimensionalen Rolle spürbar unterfordert ist, verleiht er seinem Charakter eine herrlich verschrobene, fast irre Ausstrahlung und bringt damit etwas Schwung in die über weite Strecken zähen Ermittlungen.

Dass Kramm eine brisante Stasi-Akte leichtsinnig in einer Umhängetasche mit sich herumträgt, mag man Drehbuchautor Andreas Knaup (Ohnmacht) verzeihen – dass Saalfeld ausgerechnet in dieser Akte Informationen über den vermeintlichen Tod ihres Vaters findet, hingegen nicht.

So begegnen sich der totgeglaubte Vater Horst Saalfeld (Günter Junghans, Verdammt) und die geschockte Tochter Eva am Ende in einem Parkhaus – früh ist klar, dass der Fall diese Wendung nehmen wird, und die obligatorische Verfolgungsjagd und die emotionalen Vater-Tochter-Szenen werden von Regisseur Johannes Grieser (Todesschütze) recht blass inszeniert.

Hätten die Filmemacher mehr Zeit in die Einführung von Horst Saalfeld investiert, wäre aus Nasse Sachen vielleicht ein solider Krimi geworden – so aber geht der Zusammenhang zwischen Immobilien auf Zypern, Autodiebstählen und einem Jahrzehnte zurückliegenden Mord ebenso schnell verloren wie der Bezug zu den Charakteren. Da rettet manch launiger Dialog am Ende wenig.


KEPPLER:
Sie können ja Ihren Anwalt anrufen.


KRAMM: 
Als ob mir das helfen würde, wenn Sie es darauf angelegt haben, mich zum Schweigen zu bringen!

KEPPLER:
Momentan möchte ich Sie zum Reden bringen.


Bewertung: 4/10