Blutgeld

Folge: 762 | 25. April 2010 | Sender: SWR | Regie: Martin Eigler
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Verbrecherisch.

Das gilt zwar letztlich für die Geschichte einer jeden Tatort-Folge – aber das farbenfrohe Verbrechensfeuerwerk, das Regisseur und Drehbuchautor Martin Eigler (Blutdiamanten) in der 762. Ausgabe der Krimireihe abbrennt, ist in seiner Vielfalt doch ziemlich bemerkenswert.

Doppelmord, Auftragsmord, Erpressung, Schwarzgeld, Finanzbetrug, Entführungen, Geiselnahmen, Schüsse auf Polizeibeamte – all das findet in diesem Tatort statt, und nicht zuletzt auch noch der schon in der Bibel verpönte Ehebruch, der hierzulande zwar seit 1969 strafrechtlich ungeahndet bleibt, um den sich in Blutgeld aber alles rankt.

Grund genug für den Stuttgarter Hauptkommissar Thorsten Lannert (Richy Müller), sich beim Verhör als bibelfester Christ zu outen und schmunzelnd aus dem Neuen Testament zu zitieren.


LANNERT:
Und da krähte der Hahn und Petrus weinte bitterlich. 


Ein Vater, zwei Familien – das kann eigentlich nur schiefgehen, vor allem, wenn man sich dabei finanziell übernimmt.

Die ausweglose Lage von Marc Simon (Stephan Kampwirth, Der Tag des Jägers), der sich nicht nur hohe Geldbeträge bei seinen Schwiegereltern, sondern vor allem bei der nicht zu Scherzen aufgelegten Mafia leihen muss, bildet das Fundament einer cleveren Tatort-Folge, die nicht nur mit einem üppigen Body Count aufwartet, sondern auch nach dem dramatischen Showdown noch zu überraschen weiß. Und in der – man höre und staune – ausgerechnet ein verzweifelter Banker trotz der jüngsten Finanzkrise die Sympathien des Publikums genießen darf.

Martin Eigler versteht es glänzend, den anfangs noch unübersichtlichen Sumpf aus Betrug, Familientragödie und organisiertem Verbrechen auszuarbeiten, ohne dass Blutgeld dabei überladen oder halbherzig wirkt.

Lannert und sein Stuttgarter Kollege Sebastian Bootz (Felix Klare) haben alle Hände voll zu tun: Flüchtige wie den zwielichtigen André Lindner (Hans-Jochen Wagner, Hitchcock und Frau Wernicke) wieder einfangen, zwischen Rothaus-Fässern in Deckung springen, mit Geiselnehmern verhandeln – und Zeit, Lannerts offenbar mangelhafte Schusswaffenqualitäten zu diskutieren, muss schließlich auch noch bleiben.

Nur einen seiner zahlreichen Handlungsfäden denkt Eigler nicht ganz konsequent zu Ende: Der kurze Eifersuchtsmoment zwischen Kommissar und Hobbykoch Bootz und seiner Ehefrau Julia (Maja Schöne, Hart an der Grenze) bleibt einfach im Raum stehen, obwohl er eigentlich nach Konsequenzen schreit.

Am tollen Gesamteindruck ändert das freilich wenig: Auch wenn der Schlussakkord ein wenig zu versöhnlich ausfällt, ist Blutgeld unter dem Strich ein bärenstarker Tatort und bis heute einer der besten der seit 2008 ermittelnden Stuttgarter Kommissare.

Bewertung: 8/10

Tango für Borowski

Folge: 761 | 4. April 2010 | Sender: NDR | Regie: Hannu Salonen
Bild: NDR/Pasi Räsämäki
So war der Tatort:

Finnisch.

Und das nicht nur, weil mit dem mehrfach tatorterprobten Hannu Salonen (Bittere Trauben) ein finnischer Regisseur am Ruder sitzt: Tango für Borowski ist eine der ungewöhnlichsten Tatort-Folgen aller Zeiten – zumindest, was das Setting im Ausland angeht, denn der Krimi spielt nur in der Anfangsviertelstunde für wenige Minuten in Deutschland. 

Kriminalrat Roland Schladitz (Thomas Kügel) schickt Klaus Borowski (Axel Milberg) nicht etwa nach Südamerika, wie es der Krimititel nahelegen könnte, sondern nach Finnland, weil der Kieler Hauptkommissar den deutschen Jugendlichen Ralf Böttcher (Florian Bartholomäi, Ein ganz normaler Fall) zu einem laufenden Verfahren befragen soll. 

Der hat allerdings ganz andere Sorgen: Eigentlich in einem Resozialisierungscamp mitten in der Wildnis einquartiert, steht Böttcher in Finnland plötzlich unter Mordverdacht, nachdem ein Mädchen vergewaltigt und ermordet wurde. Gemeinsam mit dem finnischen Kollegen Mikko Väisänen (Janne Hyytiäinen) nimmt Borowski die Ermittlungen auf – und wandelt damit unverhohlen auf den Spuren klassischer Skandinavien-Krimis, die seit Jahren nicht nur den deutschen Buchhandel, sondern auch die öffentlich-rechtliche Fernsehlandschaft prägen. 

Zwar ist es bis zur ersten Henning-Mankell-Verfilmung (Borowski und der coole Hund) im Tatort noch ein bisschen hin, doch bietet Tango für Borowski bereits alles, was einen waschechten Skandinavien-Krimi ausmacht: viel Natur, viel Lokalkolorit und eine spürbar unterkühlte Atmosphäre.

Aber leider auch wenig Spannung.

Die Schauwerte sind bombastisch, der Humor einmal mehr angenehm subtil, aber der Kriminalfall nur mittelmäßig: Borowski und Väisänen wandern stundenlang über von endlosen Wäldern gesäumte Landstraßen, landen an malerischen Seeufern und gönnen sich sogar einen gemeinsamen Saunagang. Bei der Suche nach dem verschwundenen Böttcher, den sie bei einer Pinkelpause im Wald mit dem eigenen Dienstwagen entwischen lassen, scheinen sie es aber nicht sonderlich eilig zu haben. 

Sogar für einen romantischen Tangotanz im Festzelt bleibt Zeit – zumindest, bis Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert) in der Pampa aufschlägt und dem dank Mitternachtssonne schwer übernächtigten Kommissar mal wieder den Kopf verdreht. Die kurze Beziehung der beiden findet nach dem Abspann allerdings ein jähes Ende: Es ist Jungs (vorerst) letzter Auftritt im Kieler Tatort, Sarah Brandt (Sibel Kekilli) beerbt sie 2011 in Borowski und die Frau am Fenster und Borowski kehrt wieder ins gewohnte Single-Leben zurück (ehe er Jung in Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes ein letztes Mal begegnen darf). 

Darin ist er schließlich auch geübt: Im melancholisch angehauchten Tango für Borowski irrt er bisweilen mutterseelenallein durch Tannenwälder, vergiftet sich ausgehungert mit Pilzen und muss tatenlos zusehen, wie sich der Hauptverdächtige vor seinen Augen aus dem Staub macht, während er selbst nicht mehr den Weg nach Hause findet. 

Dieser skurrile, von Stille und Einsamkeit geprägte Naturtrip und die fast poetische Grundstimmung tragen einen großen Teil zur der faszinierenden Atmosphäre bei, die den 761. Tatort so ausgefallen und sehenswert, aber selten wirklich spannend macht.

Bewertung: 7/10