Hilflos

Folge: 754 | 24. Januar 2010 | Sender: SR | Regie: Hannu Salonen
Bild: SR/Manuela Meyer
So war der Tatort:

Protokollarisch.

Denn das Drehbuchautorenduo Sabine Radebold und Stefan Schaller, die zum ersten Mal ein Tatort-Skript beisteuern, und Regisseur Hannu Salonen, der nach Bittere Trauben zum zweiten Mal einen Krimi aus Saarbrücken inszeniert, wählen für Hilflos eine Erzählform, die den 754. Tatort allein schon von seiner Struktur her angenehm aus dem Einheitsbrei am Sonntagabend hervorstechen lässt: Sie beginnen mit der eigentlichen Schlussszene des Films, vermeiden es dabei aber geschickt, die Auflösung vorwegzunehmen.

In der Folge machen sie Hauptkommissar Franz Kappl (Maximilian Brückner) zum Erzähler, lassen ihn das Protokoll zum Fall schreiben und steuern die Geschichte mit seinen sachlichen Kommentaren aus dem Off. Kappls Stimme klingt nüchtern und bedrückt zugleich – einer von mehreren Gründen dafür, dass sich von Beginn an eine enorm beklemmende Atmosphäre entfacht.

Auch die dezente Klaviermusik von Michael Klaukien und Andreas Lonardoni trägt entscheidend zur melancholischen Grundstimmung des Krimidramas bei.

Hilflos ist hier nämlich nicht nur das jugendliche Opfer seinem Mörder ausgeliefert – Hilflos sind auch Kappl und der als Ex-Gymnasiast persönlich betroffene Stefan Deininger (Gregor Weber), die bei ihrem fünften und drittletzten gemeinsamen Einsatz vergeblich nach Zugang zum hauptverdächtigen Tobias Rothgerber (Sergej Moya, Das namenlose Mädchen) suchen.

Moya ist der unumstrittene Star des Films, weil er seine ungemein spannend angelegte Figur, die den Zuschauer immer wieder zu überraschen weiß, in all ihrer Vielschichtig- und Rätselhaftigkeit mit zurückgenommenem Spiel authentisch auf die Mattscheibe bringt.

Wer ist dieser verstörte, nuschelnde Außenseiter, dem die Mitschüler in die Diddl-Brotdose kacken, der mit 17 Jahren noch eine Zahnspange trägt, und der aufgrund seiner fettigen Haare und seines unausstehlichen Mundgeruchs von allen peinlich gemieden wird?

Beispielhaft für die bedrohliche Aura, die den manteltragenden Einzelgänger umgibt, steht die an den herausragenden WDR-Fernsehfilm Wut erinnernde Sequenz, in der er zum ersten Mal ungefragt ins Elternhaus seines Mitschülers Jonathan Seiwert (Florian Bartholomäi, Ein ganz normaler Fall) eindringt: Der düster gekleidete Sonderling wirkt in dem komplett weiß eingerichteten, penibelst sauber gehaltenen Wohnraum, in dem die Mutter mit Kosmetiktüchern die dreckigen Schuhe des ungebetenen Gastes entsorgt und akkurat das frische Obst in der Schale stapelt, wie niederes Ungeziefer. Ein gefährliches Subjekt, das die heile Welt ins Wanken bringen könnte.

Aber ist er auch der Mörder?

Hilflos begeistert bis zur tragischen letzten Sekunde und schrammt nur aufgrund kleinerer Schönheitsfehler – Moya beispielsweise ist mit seinen damals 23 Jahren eine ganze Ecke zu alt gecastet – an der Höchstwertung vorbei. Ein grandioser Fall aus Saarbrücken und zugleich der zweitbeste Tatort mit Kappl und Deininger – mit Verschleppt folgt zwei Jahre später ihr bester.

Bewertung: 9/10

1 Kommentar:

  1. Ich stimme zu, dass diese Tatort-Folge unglaublich bedrückend, spannend und mitreißend erzählt ist. Gerade die Mobbing-Szenen sind kaum zu ertragen und die Jungschauspieler machen ihre Sache richtig gut. Auch die interessante Erzählstruktur und die langfristige Geheimhaltung des Täters sind einwandfrei.
    Doch so ganz kann ich nicht nachvollziehen, warum dieser Tatort gleich nahezu 10/10 Punkte verdient haben sollte. Der Film ist zwar großartig und hat 9/10 Punkte durchaus verdient, aber sozusagen eher im Bereich mit Tendenz zu 8/10, wie ich finde.

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