Schiffe versenken

Folge: 734 | 24. Mai 2009 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: ARD Degeto/RBB
So war der Tatort:

Windig. 

Große Teile von Schiffe versenken – der Krimititel deutet es bereits an – spielen auf hoher See, und dem Bremer Tatort, der einmal mehr einen Ausflug ins nahegelegene Bremerhaven wagt, damit ausgezeichnet zu Gesicht.

Ins selbige bläst Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) der eisige Wind: Nach dem Fund einer tiefgefrorenen, eher an ein Wachsfigurenkabinett erinnernden Leiche im Kühlraum eines Frachters führen die Ermittlungen nämlich direkt auf die MS Karina, die sich auf dem Weg nach Norwegen befindet und angesichts der sechsstelligen Unkosten, die bei einer Rückholaktion von der Staatskasse zu entrichten wären, leider nicht mehr nach Bremerhaven zurückbeordert werden kann.

Zu dumm. Lürsen, die prompt hinterherfährt und in der Folge an Bord ermittelt, und ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) gehen daher im 734. Tatort über weite Strecken getrennte Wege, halten sich aber über das Satellitentelefon an Bord auf dem Laufenden. Und wenn's sein muss, mailt Stedefreund der Hauptkommissarin auch fix ein Dutzend Bilder auf die Kommandobrücke, die Lürsen binnen drei Sekunden aufgerufen, heruntergeladen und in Farbe ausgedruckt hat.

Was jeden Anwender am Heim-PC und -Drucker im Jahr 2009 trotz DSL-Verbindung wohl restlos überfordern würde, geht auf dem Frachter, dessen Farbe blättert und dessen Maschinen schon mal den Dienst versagen, völlig problemlos. Es sind Szenen wie diese, die Schiffe versenken immer wieder zum Ärgernis machen, obwohl die Ausgangslage an Bord mit einem halben Dutzend Verdächtiger und einem von der Außenwelt abgeschlossenen Ort für einen klassischen Whodunit eigentlich wie gemalt ist.

Dennoch gelingt es Regisseur Florian Baxmeyer (Häuserkampf) nur selten, auf hoher See echte Spannung zu erzeugen, weil sich ein eigentlich vielversprechender Drehbucheinfall des Autorentrios um Dagmar Gabler (Unter Druck), Wilfried Huismann (Schlafende Hunde) und Philip LaZebnik zum Boomerang entwickelt: Das Schiff verlässt nämlich die deutschen Gewässer und untersteht damit den Gesetzen des Landes, unter dessen Flagge es fährt – Liberia. Lürsens Dienstausweis ist damit keinen Pfifferling mehr wert, ihre Dienstwaffe schnell abgegeben und ihr Status an Bord eher touristischer Natur.

Dass die anfangs noch wortkargen Crewmitglieder, von denen nur wenige der deutschen Sprache überhaupt mächtig sind, dennoch fleißig die Fragen der Kommissarin a.D. beantworten, trägt nicht gerade zur Glaubwürdigkeit der Geschichte bei, in deren weiterem Verlauf schon mal Kabinen verschweißt und unbemerkt (!) Rettungsboote zu Wasser gelassen werden.

So bleibt der köstliche Auftritt von Michael Gwisdek (Schlaraffenland) als tiefenentspannter, Tee trinkender Kapitän Bleibtreu eines der wenigen Highlights eines enttäuschenden Bremer Tatorts, den auch die mit Gustav-Peter Wöhler (Heimspiel), Ina Weisse (Dinge, die noch zu tun sind) und Hans Peter Hallwachs (Havarie) prominent besetzten Nebenrollen nicht mehr ins sehenswerte Mittelfeld auf der Bewertungsskala retten.

Bewertung: 4/10

Borowski und die heile Welt

Folge: 732 | 3. Mai 2009 | Sender: NDR | Regie: Florian Froschmayer
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Unheilvoll.

Denn wenngleich der Titel Borowski und die heile Welt einen harmlosen Krimi und Friede, Freude, Eierkuchen verspricht, skizzieren die Filmemacher erwartungsgemäß das Gegenteil: Die Drehbuchautoren Elke Schuch (Feierstunde) und Marc Blöbaum (Wolfsstunde), die bereits den Hamburger Tatort Verlorene Töchter konzipierten, kreuzen bei ihrer zweiten Arbeit für die Krimireihe einen konventionellen Whodunit mit einem emotionalen Familiendrama.

Schon der Auftakt zur 732. Tatort-Folge gestaltet sich unter Regie von Tatort-Debütant Florian Froschmayer (Der Polizistinnenmörder) dramatisch: Nach einem heftigen Streit mit ihrem Mann, der sich als Restaurantbesitzer selbständig gemacht hat, kreuzt die verzweifelte Nadine Nowak (Katharina Wackernagel, Keine Polizei) auf dem Präsidium auf und läuft dem Kieler Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) direkt in die Arme. Nowak vermisst ihre Tochter, die nach dem Streit mit ihrem Mann Thies (Fabian Hinrichs, ab 2015 als Felix Voss im Franken-Tatort zu sehen) das Weite gesucht hatte.

Am nächsten Morgen sitzt das Mädchen tot an Deck einer Fähre – und Borowski macht sich schwere Vorwürfe, weil er das Kind nicht rechtzeitig hat finden können. Und es bahnt sich weiteres Unheil an: Jung spielt wegen eines Jobangebots aus der Schweiz mit Abwanderungsgedanken. Als Borowski dann auch noch ein Fauxpas im Schwimmbad unterläuft und er wie ein begossener Pudel zurück ins Präsidium kehrt, hat es dem Kieler Kommissar endgültig die Petersilie verhagelt. So mitgenommen hat man ihn selten gesehen.


JUNG:
Was ist denn mit Ihnen passiert?

BOROWSKI:
Ich hab' versucht, ein Kind zu retten. Aber da bin ich im Augenblick nicht besonders gut drin.


Borowski und die heile Welt ist ein klassischer, hervorragend besetzter Kieler Tatort, in dem sich der Kreis der möglichen Täter überschaubar gestaltet: Neben den Eltern geraten auch der offenbar pädophile Kellner Tim "Gonzo" Hansen (Edward Piccin, 1000 Tode) und die Fischhändlerin Saskia Fröhlich (Karin Giegerich, Tod auf dem Rhein) ins Visier der Ermittler. Durch den starken Fokus auf die Gefühlswelt der Eltern und die zwischenmenschlichen Abgründe, die sich im Hause Nowak auftun, wird aber schnell klar, dass die Auflösung der Täterfrage nur über die Eltern führt.

So sind Nadine und Thies Nowak die reizvollsten Figuren dieses Krimis, weil sie vielschichtig angelegt und nicht leicht zu durchschauen sind: Der vorbestrafte Choleriker Thies hat den Umgang mit seiner kurzen Zündschnur erlernt und lässt sich trotzdem zu Wutausbrüchen hinreißen, zeigt als liebender Vater aber auch eine sanfte Seite, wenn er sich etwa betrübt die Videoaufnahmen seiner Tochter anschaut. Seine schwangere Frau hingegen ist der zerbrechliche, tapfere Typ, vordergründig sympathischer, und doch umgibt sie auch aufgrund der bedingungslosen Liebe zu ihrem rabiaten Gatten etwas Geheimnisvolles.

Die beiden wichtigsten Nebendarsteller laufen dabei zu großer Form auf: Während Katharina Wackernagel in diesem Krimidrama die ganze Bandbreite an Emotionen abverlangt wird, glänzt der spätere Tatort-Kommissar Fabian Hinrichs vor allem in den Sequenzen, in dem Nowak seine Wut nicht unter Kontrolle hält. Etwas eindimensionaler kommt Nowaks gefühlskalte Mutter Vera Zimmer (Marita Breuer, Tempelräuber) daher: Gegenüber Thies verhält sie sich wie ein Scheusal – und einer Oma, die wenige Tage nach dem tragischen Tod ihrer Enkelin sämtliche Kinderzeichnungen vom Kühlschrank reißt und Erinnerungsfotos in einen Müllsack stopft, fliegen die Herzen des Publikums sicher nicht im Sturm zu.

Während der Zuschauer auch hinter dem Rücken der Ermittler Zeuge solcher stellenweise etwas theatralisch inszenierten Szenen wird und sich sein eigenes Bild machen darf, ist es an Borowski und Jung, die Fassade der heilen Welt Stück für Stück einzureißen. Das gelingt den beiden durch den angeregten, stets von subtilem Flirt durchzogenen Austausch über die Psyche der Verdächtigen hervorragend, wenngleich er anfangs hinter Borowskis Frust und Jungs geplantem Abgang, den sie zunächst nur mit Kripochef Roland Schladitz (Thomas Kügel) erörtert, hintenansteht.

Spätestens im Schlussdrittel ist das Duo, das noch zwei weitere Male in dieser Konstellation ermittelt (ehe Jung dann später in Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes ein Comeback feiert), aber voll in seinem Element – und es ist nach wie vor eine große Freude, dem muffeligen Eigenbrötler und der aus der Schweiz umworbenen Frau vom Fach dabei zuzusehen.


BOROWSKI:
Vielleicht ist sie deshalb nochmal schwanger geworden? Um die Beziehung zu retten?

JUNG:
Sehr gut, Herr Borowski. Sie brauchen mich ja gar nicht mehr.


Bewertung: 7/10