Gesang der toten Dinge

Folge: 728 | 29. März 2009 | Sender: BR | Regie: Thomas Roth
Bild: BR/Bavaria Film/Stephen Power
So war der Tatort:

Esoterisch.

Drehbuchautor Markus Fenner (Tod auf der Walz), der zum dritten Mal einen Fall für die Münchner Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) konzipiert, entführt das Publikum in Gesang der toten Dinge nämlich in die Welt des Übersinnlichen.

Die hübsche Doro Pirol (Jutta Fastian, Im Netz der Lügen) wird erschossen in einer Nymphenburger Villa aufgefunden. Bis zu ihrem Ableben war sie erfolgreich als TV-Astrologin tätig – ebenso wie ihr Ehemann Remy (André Eisermann) und ihre beste Freundin Selina Fritsch (Christiane von Poelnitz), die hinter ihrem Rücken ein Verhältnis miteinander begonnen haben.

Auch ihr Stiefvater, Professor Mosberg (Bernd Stegemann, Alle meine Jungs), kann den Verlust der geliebten Tochter kaum begreifen. Aber wurde Pirol überhaupt ermordet oder war es vielleicht Selbstmord? Schnell scheint diese Frage beantwortet – denn Spurensicherungsleiter Dr. Alt (Georg Blumreiter, Schwelbrand), der nur dieses eine Mal im Münchner Tatort zu sehen ist, verlässt sich lieber auf sein Bauchgefühl anstatt die klaren Indizien für ein Gewaltverbrechen ernsthaft in seine Überlegungen miteinzubeziehen.

Batic und Leitmayr wissen es natürlich besser und werden bei der Suche nach dem Mörder einmalig von einer jungen Kollegin unterstützt: Gabi Kunz (Sabine Timoteo) stammt unüberhörbar aus der Schweiz und stellt die Ohren der deutschen Zuschauer mit ihrem Dialekt auf eine harte Probe. Es ist auch ihrer kecken, neugierigen Art zu verdanken, dass dieser ungewohnt schwache Münchner Tatort nicht zum Totalausfall wird: Einzig die drei Hauptfiguren retten die über weite Strecken hanebüchene und im Erzählton permanent wechselnde Geschichte mit Ach und Krach über die Ziellinie.


PIROL:
Es war Selbstmord! Das hat mir die Jungfrau Maria selbst kundgetan!

KUNZ:
Und wie, bitte sehr, sollen wir diese Dame in den Zeugenstand kriegen?


Übersinnlich angehauchte Drehbücher – man denke an den Ludwigshafener Tatort Tod im All oder den Schweizer Beitrag Zwischen zwei Welten – haben es in der bodenständigen Krimireihe naturgemäß schwer, doch ist dies nur Teil eines größeren Problems: Der amüsante Dialog im Verhörzimmer steht exemplarisch für die verkorksten Genre-Schlingerkurs, bei dem sich zu keinem Zeitpunkt ein stimmiges Gesamtbild ergibt.

So sehr Regisseur Thomas Roth (Deckname Kidon) in einigen Sequenzen Spannung schüren möchte, so sehr rauben die heiteren Passagen und die überzeichneten Figuren seinem Esoterik-Krimi die Substanz. Selbst die altgedienten Münchner Kommissare, die irgendwann sogar den Hund (!) einer außer Gefecht gesetzten Zeugin zu den Ermittlungen mitschleppen, scheinen die schräge Handlung nach einer guten Krimistunde nicht mehr ernst nehmen zu können ("Ich kann ihr doch schlecht sagen, dass unsere Ermittlungen jetzt von einer Kräuterhexe geleitet werden!").

Während eine Verfolgungsjagd durch den Park im Slapstick endet, driftet ein spontaner Kuss von Professor Mosberg und Haushälterin Annemarie Weigand (Therese Affolter, Unter uns) im strömenden Regen ins Lächerliche ab.

Und dann ist da noch eine absolut außergewöhnliche Nebenfigur: Die ebenfalls mit übersinnlichen Fähigkeiten gesegnete Hundeliebhaberin Fefi Zänglein (Irm Hermann, Schmutzarbeit) nimmt Batic nach einem lieblos konstruierten Nordic-Walking-Missgeschick mit zu sich nach Hause und päppelt den Kommissar mit Tee und warmen Worten wieder auf. Während Batic sich zunehmend für ihre angebliche Gabe begeistern kann, äußert sich Zänglein oft nur in Versform und begegnet dem alpträumenden Kommissar sogar im Schlaf.

In einem großen Interview zum 25-jährigen Dienstjubiläum (vgl. Mia san jetz da wo's weh tut) räumt Hauptdarsteller Udo Wachtveitl später ein, dass er Gesang der toten Dinge als Zuschauer wohl abgeschaltet hätte – man kann ihn gut verstehen. Denn auch die nette Schlusspointe versöhnt nur ein Stück weit für die erzählerischen Defizite dieser Tatort-Folge, die bis heute zu den schwächsten mit Batic und Leitmayr zählt.

Bewertung: 3/10

Höllenfahrt

Folge: 727 | 22. März 2009 | Sender: WDR | Regie: Tim Trageser
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Kilometerfressend

Höllenfahrt ist – der Folgentitel deutet es bereits an – mehr Roadmovie als Sonntagskrimi, und da es sich um einen Tatort aus Münster handelt, natürlich keiner der wirklich spannenden, dafür aber umso spaßigeren Art. 

Schon der Auftakt macht deutlich, dass Szenen im Präsidium oder in der Leichenhalle diesmal nicht vorgesehen sind: Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) befindet sich gerade auf einer Fortbildung und ruiniert sich sein nagelneues Oberhemd mit Kunstblut, während Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) mit fiesen Tricks sein Handicap bei einem Golfturnier aufmöbelt. 

Nach einem missglückten Abschlag ins Unterholz steht er plötzlich vor einer Leiche, zitiert nach kurzem Zaudern den Kollegen Thiel herbei und sorgt sich in der Folge hauptsächlich darum, das Golfturnier könne wegen des Mordfalls abgebrochen und er seines bevorstehenden Turniersiegs beraubt werden. 

Die Drehbuchautoren Claudia Falk und Matthias Seelig, die nach dem durchwachsenen Das zweite Gesicht zum zweiten Mal mit Regisseur Tim Trageser (Der Traum von der Au) zusammenarbeiten, bringen das eingespielte Duo gewohnt humorvoll zur Geltung und schicken die beiden in der Folge auf eine köstliche, fast in Echtzeit spielende Odyssee durch das sommerliche Münsterland, bei der Boerne seltsame Motorengeräusche bei seinem flotten Zweisitzer ausmacht, eine verbissene Fehde mit einer Radfahrertruppe ausfechtet und Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) den beiden Ermittlern in einem roten Fiat 500 hinterherhechelt. 

Am Ende nimmt das Trio natürlich noch gemeinsam in der "Flohkiste" (Boerne) Platz – ein Gag, wie er vorhersehbarer kaum ausfallen könnte, zugleich aber einer der wenigen, bei denen der erhoffte Lacher ausbleibt.

Höllenfahrt sprüht vor Situationskomik und absurden Einfällen, verkommt dabei aber nicht zur Klamotte. Boernes plötzliche Off-Road-Einlage durchs Maisfeld, die allgegenwärtige Blasiertheit im edlen Golfclub oder Thiels Crash-Kurs in Sachen Sezierbesteck: Der 727. Tatort liefert gelungene Pointen und amüsanten Dialogwitz am Fließband, verliert die Jagd nach dem Täter aber trotz aller Kuriositäten nie aus den Augen. 

Und ist auch aufgrund des packenden Schlussakkords immer noch deutlich mehr Krimi als der spätere, landschaftlich ähnlich gelagerte Das Wunder von Wolbeck, bei dem der Spagat zwischen Albernheiten und Kriminalfall erstmalig richtig in die Hose ging. 

Mit Nina Kunzendorf (Der Tote im Nachtzug), die als gejagte Alexandra Kolb im Gegensatz zu ihrer späteren Rolle als Frankfurter Tussi-Kommissarin Conny Mey mit Kopftuch und schlichten grauen (allerdings auch ziemlich transparenten) Oberteilen zu sehen ist, zählt zudem eine großartige TV-Darstellerin zum Cast, die schauspielerisch die eine oder andere Duftmarke setzt und auf der Zielgeraden zu Hochform aufläuft. Doch hoppla: Das prominenteste Gesicht ist in diesem Tatort mal nicht der Mörder.

Überraschend ist die Auflösung der Täterfrage dennoch nicht – da sie aber ohnehin zweitrangig ist, fällt dies kaum ins Gewicht. Wüsste der Zuschauer von Beginn an um den Täter, würde sich eigentlich wenig ändern, denn Thiel und Boernes Wettlauf gegen die Zeit ließe sich auch ohne klassische Whodunit-Frage konstruieren. 

So ist Höllenfahrt eine weitere, extrem kurzweilige Ausgabe des Kuriositätenkabinetts aus Münster und zugleich eine der stärksten Folgen aus der Studentenstadt, von der diesmal wenig zu sehen ist. Und – ganz nebenbei – ist der 727. Tatort auch die Lieblingsfolge von Christine Urspruch

Bewertung: 8/10

Das Gespenst

Folge: 726 | 15. März 2009 | Sender: NDR | Regie: Dror Zahavi
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Sehr viel weniger gespenstisch, als der Titel vermuten lässt. 

Statt übernatürlichen Erscheinungen dreht sich Das Gespenst nämlich um sehr reale Attentäter – und die sorgen einleitend am Hannover Airport für die erste Leiche des Films. Ein silberner Golf im absoluten Halteverbot und Polizeimeister Karl Hegemann (Niels Bormann, Vergessene Erinnerung), der eine Personenkontrolle durchführen will, sind zunächst alles, was es für den Mord im 14. Fall für Hauptkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) braucht: Hegemann wird vor den Augen Dutzender Augenzeugen erschossen.

Sämtliche Aufzeichnungen der Überwachungskameras am Flughafen sind zwar auf mysteriöse Weise verschwunden, doch kennen nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Polizei innerhalb kürzester Zeit das Gesicht der Schützin: Es ist niemand Geringeres als Lindholms alte Jugendfreundin Manu Seehausen (Karoline Eichhorn, Stille Tage).

Obwohl eigentlich klar ist, dass Seehausen die Täterin ist, wird sie aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt – der Verfassungsschutz hat in Person von Klaus Ritter (Hansa Czypionka, Ruhe sanft) seine Finger im Spiel und möchte weder, dass Seehausen hinter Schloss und Riegel wandert, noch, dass Lindholm ihre Nase weiter in diese Angelegenheit steckt. Eine Angelegenheit, die selbstverständlich größer ist, als man zunächst annimmt: Es geht um ein geplantes Attentat auf ein afrikanisches Staatsoberhaupt.

Lindholm hat also alle Hände voll zu tun und muss sich privat auch noch mit ihrem anhänglichen Verehrer Edgar Strelow (David Bott) herumschlagen, der sie bereits in Erntedank e.V. und Salzleiche heftig anschmachtete und diesmal erste Erfolge verbucht. Dann sind da die passiv aggressiven Kommentare ihres Mitbewohners Martin Felser (Ingo Naujoks) und ihrer Mutter Annemarie (Kathrin Ackermann) sowie eine ordentlich Portion Mansplaining, als Felser ihr einen Fund in der frisch renovierten Wohnung erläutert – ganz so, als wüsste Lindholm das nach jahrelanger Polizeiarbeit nicht selbst.


FELSER:
Was ist das denn? Charlotte, das ist 'ne Wanze! Damit hört man Leute ab. Weißt du, wie teuer das Ding ist? Das ist Spitzenqualität. Das ist Profi-Ausrüstung!


Für die 726. Tatort-Folge inszeniert Dror Zahavi (Franziska) ein Drehbuch von Stefan Dähnert, der einige Jahre später auch die Lindholm-Doppelfolge Wegwerfmädchen und Das goldene Band konzipiert – und ihre Geschichte funktioniert diesmal nicht nach dem altbekannten Whodunit-Prinzip. Weil der Hauptkommissarin auf offiziellem Weg die Hände gebunden sind, konzentriert sich die Erzählung auf ihre Beziehung zu Manu Seehausen. 

Die Kontrahentinnen auf Augenhöhe teilen wesentlich mehr Gemeinsamkeiten, als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Eine reizvolle Konfrontation, die nach rund zwei Dritteln des Krimis einen ersten Höhepunkt findet: Die beiden Frauen treffen sich buchstäblich in Lindholms Badewanne, mitten in ihrer Wohnung, die eine einzige Baustelle ist. Eine etwas absurde, aber gelungene Szene, in der schön sichtbar wird, wie schmal der Grat ist, der die gegenseitige Abneigung und Nähe voneinander trennt.

Erfreulicherweise gelingt den Filmemachern in Das Gespenst auch der Ausbruch aus den üblichen Klischees, die im Hannover-Tatort sonst häufig zu beobachten sind: Anstatt eines wenig brauchbaren Dorfpolizisten (vgl. Märchenwald oder Schwarzes Herz) steht Lindholm diesmal Hauptkommissar Pritt (Stephan Benson, Verlorene Töchter) zur Seite, der sich im Laufe der Ermittlung als durchaus hilfreich herausstellt. Ein eher klassisches und schon häufig bemühtes Krimimotiv ist hingegen der Konflikt zwischen Kriminalpolizei und Verfassungsschutz, bei dem die Grenzen zwischen Gut und Böse, richtig und falsch zunehmend verschwimmen.

Besonders das Finale des 726. Tatorts ist aber spannend inszeniert und ansprechend gefilmt, spielt in verschiedenen Einstellungen mit klaren Linien und mit Licht und Schatten. Ansonsten finden sich hier wieder filmische Mittel, die bereits im künstlich überhöhten Finale des packenden Vor-Vorgängers Atemnot eingesetzt wurden: Aufnahmen in Zeitlupe, gepaart mit dramatischem Soundtrack – leider auch in Szenen, die das eigentlich nicht nötig hätten, weil sie schon allein von den Emotionen der Figuren getragen werden.

Insgesamt geht der Film nicht nur als Krimi durch, sondern auch als ausführliche Charakterstudie der LKA-Kommissarin – und obwohl das in Das Gespenst deutlich besser als in anderen Tatort-Folgen aus Niedersachsen gelingt, hätte weniger Privatleben an manchen Stellen nicht geschadet.

Bewertung: 6/10

Mauerblümchen

Folge: 725 | 8. März 2009 | Sender: MDR | Regie: Johannes Fabrick
Bild: MDR/Saxonia Media/Junghans

So war der Tatort:

Ähnlich farblos wie sein Titel.

Mauerblümchen gelingt es nämlich nur selten, sich von der üblichen Reißbrett-Dramaturgie zahlloser Sonntagskrimis zu lösen: Unter Regie von Johannes Fabrick, der genau wie Drehbuchautorin Simone Schneider zum ersten und einzigen Mal für die Krimireihe am Ruder sitzt, passiert beim fünften Einsatz der Leipziger Hauptkommissare Andreas Keppler (Martin Wuttke) und Eva Saalfeld (Simone Thomalla) fast immer genau das, was man als nächstes erwarten würde.

Und doch ist der 725. Tatort zumindest in einer Hinsicht eine wohltuende Ausnahme vom gewohnten 08/15-Arrangement auf dem populärsten aller TV-Sendeplätze: Es gibt nicht viele Fadenkreuzkrimis, in der Politiker in ein wirklich positives Licht gerückt werden. Meist haben sie Dreck am Stecken, treiben fiese Machtspielchen oder lassen sich als korrupte Marionetten zahlungskräftiger Wirtschaftsbosse instrumentalisieren. Dieser Whodunit hingegen liefert den Gegenentwurf zum machthungrigen, opportunistischen Klischee-Politiker, doch leider segnet der tadellose Bürgermeister Armin Lohmann (Peter Atanassow, Machtlos) schon nach wenigen Minuten das Zeitliche.

Lohmann, der am Vorabend auf einer Veranstaltung mit einer unbekannten jungen Dame in die Nacht verschwunden ist, liegt sehr zur Überraschung seiner ahnungslosen Gattin Katrin (Sophie von Kessel, Der kalte Tod) morgens tot in seinem Haus – von seiner weiblichen Begleitung, mit der er vermeintlich eine Affäre gehabt hat, fehlt hingegen jede Spur. Was sich wie ein klassisches Eifersuchtsdrama mit Todesfolge liest, entpuppt sich bald als Ouvertüre für eine deutlich komplexere Geschichte, in der die zweite Leiche nicht lange auf sich warten lässt.

Leider tappen die Filmemacher dabei in manche andere Klischeefalle: Zum profitgierigen Bauunternehmer Stefan Rose (Arved Birnbaum, Der Reiz des Bösen) etwa fällt ihnen nichts Originelles ein, das mal mit den altbekannten Vorurteilen gegenüber einflussreichen Baulöwen aufräumen würde. Und so macht sich der tatverdächtige Rose, der mit Lohmann im Clinch lag und sich mit minderjährigen Prostituierten eingelassen hat, auch gar nicht erst die Mühe, gegen das Saalfeldsche Schubladendenken aufzubegehren.


KEPPLER:
Der Baustopp hätte ihn vielleicht in den Ruin getrieben. Das ist für mich ein Motiv.

SAALFELD:
Und warum hat er nicht erst versucht, Lohmann zu erpressen? Ist doch üblich in der Baubranche.


In Mauerblümchen wird eine ganze Reihe an Themen angeschnitten, die allein schon Stoff für einen eigenen Krimi geboten hätten: Es geht um unterbezahlte Leiharbeiterinnen, die für 5 Euro die Stunde die Hotelzimmer von Jörg Stein (Helmut Zierl, Wer Wind erntet, sät Sturm) und seinem umtriebigen Neffen Christian Scharper (Stefan Rudolph, Hart an der Grenze) putzen. Es geht um Organhandel, es geht um ein Flughafenprojekt. Und es geht um Prostitution.

Die ehemaligen Eheleute Keppler und Saalfeld, die sich bei bemühten Mann-Frau-Debatten in gewohnter Manier aneinander reiben, sind dabei auch getrennt unterwegs: Sie braust im silbernen Benz durchs nächtliche Leipzig, er nimmt den Linienbus oder zieht in der Regionalbahn die Notbremse, wenn er im Dunkeln in hundert Metern Entfernung eine völlig unschuldige Passantin fälschlicherweise für eine wichtige Tatzeugin hält. 

Absurde, unbeholfen arrangierte Momente wie diese nehmen dem Film ein Stück seiner Wucht, und da ist ein weiterer Handlungsschlenker, der sich so gar nicht mit der tragischen Grundtonalität in Einklang bringen lässt: Keppler und Saalfeld stoßen in einer Flüchtlingsunterkunft auf einen knuffigen Vierbeiner, den sie prompt mit ins Präsidium nehmen und in die Obhut des wenig begeisterten Kriminaltechnikers Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) geben. Diese dünnen "Da kommt Kalle"-Momente haben viel von seichtem Vorabend und wenig von spannender Krimi-Unterhaltung – und gipfeln zu allem Überfluss in einer Schlusspointe, der der Kitsch nur so aus den Poren trieft.

Auch zum Miträtseln taugt Mauerblümchen nur bedingt: Der Blick auf den Cast gibt geübten Zuschauern, die prominente Namen zu deuten wissen, einen wichtigen Hinweis. Und auch das Drehbuch verfolgt die falschen Fährten eher halbherzig: So verdächtig eine Person im Mittelteil des Krimis auch erscheint, ist im Tatort am Ende doch häufig jemand der Täter, der anfangs ohne Not zu viel über sich verrät und dann aus dem Blickfeld gerät. Besonders ärgerlich: Hätten Keppler und Saalfeld einfach früher einen Blick in die Akten geworfen, denen sie sich erst auf der Zielegeraden widmen, hätte die Geschichte ein viel schnelleres Ende genommen.

So bleibt am Ende trotz guter Ansätze und überzeugenden Darstellern wenig im Gedächtnis haften – und der fünfte Fall des ungleichen Ermittlerduos reiht sich als graue Maus in eine lange Reihe weiterer Leipziger Folgen ein, die wir schon ein paar Tage später wieder vergessen haben.

Bewertung: 5/10

Tödliche Tarnung

Folge: 724 | 1. März 2009 | Sender: SWR | Regie: Rainer Matsutani
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Pilotfilmähnlich.

Beim dritten gemeinsamen Einsatz der Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) setzt Drehbuchautor Holger Karsten Schmidt (Hart an der Grenze) nämlich fort, was er im Vorgänger In eigener Sache bereits begann: Er verleiht dem aus Hamburg ins Ländle versetzten Lannert charakterlichen Tiefgang und erzählt von der dramatischen Vergangenheit des früher verdeckt ermittelnden Beamten, so dass sich Tödliche Tarnung fast wie ein Pilotfilm für die neuen Stuttgarter Kommissare anfühlt.

Lannert trauert keineswegs um seine verstorbene Schwester, wie er seiner hübschen Nachbarin Lona (Birthe Wolter) noch in der letzten Folge bei Kerzenschein hatte weismachen wollen, sondern um Frau und Kind, die er bei einem Undercover-Einsatz in der Hansestadt durch einen tragischen Zufall verlor. Der Clou: Damals ermittelte Lannert gegen den Waffenhändler Victor de Man (Filip Peeters, Schürfwunden), dem er in Tödliche Tarnung nun erneut begegnet, und der den Fall zur persönlichen Abrechnung mit dem international agierenden Bonvivant macht.

Beste Voraussetzungen für einen hochklassigen Krimi (man denke nur an die Vergangenheitsbewältigung, die man beispielsweise im Münchner Tatort-Meilenstein Der oide Depp betrieb), doch leider krankt der dritte gemeinsame Einsatz der Stuttgarter Kommissare an einem eklatanten Problem: Der Fall in der Gegenwart ist nicht halb so interessant wie Lannerts dramatische Erlebnisse der Vergangenheit.

Die Täterfrage wird erst gar nicht gestellt – schon in der Eröffnungssequenz zeigt Regisseur Rainer Matsutani (Das ewig Böse), wie ein Auftragskiller im Anzug einen Zollbeamten hinrichtet und mit einem Schuss durch die Hand sein Markenzeichen hinterlässt, dass Lannert direkt zu de Man führt (dem er 2013 in Spiel auf Zeit ein weiteres Mal begegnet).

Seinen Kollegen Bootz lässt er darüber zunächst im Unklaren, so dass man sich die erste halbe Tatort-Stunde eigentlich direkt schenken kann, weil Bootz wild im Nebel stochert und die Geschenkefrage für Geburtstagskind Lannert ohnehin die wichtigere zu sein scheint.

In Erinnerung bleibt allenfalls das gruselige Mienenspiel von Dagmar Sachse (Oskar), die als trauernde Zollbeamtin Babette Kerner schon übereifrig mit dem Betreten-Dreinschauen loslegt, bevor die Kollegen von der Mordkommission sich überhaupt vorgestellt haben.

In der Folge geht es dann weniger um den Mord, sondern vielmehr um die nächste Waffenlieferung, die Lannerts ewiger Gegenspieler de Man geschickt zu tarnen weiß, bevor ihm in letzter Sekunde das Handwerk gelegt wird – und er einen am Ende doch siegreichen Kommissar allein an der Hotelbar zurücklässt. Eine Einstellung, wie gemalt für ein gefrierendes Bild und den nahtlosen Übergang in den Abspann – doch was passiert?

Das Drehbuch fährt noch einmal den Kuschelkurs und lässt Lannert und Bootz gemeinsam mit dem Rest der Stuttgarter Kollegen auf Lannerts Geburtstag anstoßen. Zwar früh zu befürchten, am Ende aber furchtbar kitschig – und nur ein Grund von vielen, warum Tödliche Tarnung trotz seiner hohen Relevanz für das Figurenkonstrukt in der Schwabenmetropole letztlich nicht über das graue Mittelmaß hinauskommt.

Bewertung: 5/10