Herz aus Eis

Folge: 723 | 22. Februar 2009 | Sender: SWR | Regie: Ed Herzog
Bild: SWR/Schweigert
So war der Tatort:

Eiskalt – im doppelten Sinne.

Zunächst mal spielt Herz aus Eis im tiefsten Winter, in einem bodenseenahen Eliteinternat, das neben einem Schwimmbad, reichlich verwöhnten Töchtern und Söhnen aus reichem Hause und mit staatlichen Stipendien bedachten Überfliegern auch einen (fast) zugefrorenen Weiher auf seinem Grundstück weiß.

Die Eiseskälte, die vor allem die verschneiten Aufnahmen am See versprühen, sind allerdings kaum der Rede wert im Vergleich zur Eiseskälte, die vom unumstrittenen Star des elften gemeinsamen Einsatzes von Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) und Noch-Oberkommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) ausgeht: Die groß aufspielende Nora von Waldstätten (Der Frauenflüsterer), die in der Rolle der verwaisten Internatsschülerin Viktoria nur in der ersten halben Krimistunde ein wenig zu dick aufträgt, zählt zu den gefühlskältesten Mörderinnen der über vierzigjährigen Tatort-Geschichte.

Möglich wird diese glänzende Performance auch deshalb, weil Drehbuchautorin Dorothee Schön (Der Wald steht schwarz und schweiget) ihr entsprechenden Entfaltungsspielraum einräumt und bewusst auf das gewohnte Whodunit-Prinzip verzichtet: In einer elektrisierenden Schwimmbadsequenz zeigt Regisseur Ed Herzog (Die schöne Mona ist tot), wie die berechnende Schönheit und ihr Freund Maximillian von Stein (Florian Bartholomäi, Ein ganz normaler Fall) den schüchternen Mitschüler Stephan Fürst-Bergedorff (Robert Höller, im erstklassigen TV-Drama Wut in einer ganz ähnlichen Rolle zu sehen) wie eine Katze im Wasser ersaufen lässt und dabei fast noch Freude zu empfinden scheint.

Auch sonst sind es vor allem die Szenen ohne Blum und Perlmann, in denen von Waldstätten hinter verschlossenen Internatstüren zu großer Form aufläuft. Nun macht eine einzelne gelungene Figur noch lange keinen herausragenden Tatort – doch Herz aus Eis hat weit mehr zu bieten.

Schnell kristallisiert sich heraus, dass der im Klassenverbund isolierte Fürst-Bergedorff nicht das einzige Opfer bleibt und die labile Mitschülerin und -wisserin Olga Filonowa (Rosalie Thomass, Tempelräuber) die Perfektion des perfiden Schülermordes gefährdet.

Das eiskalte Spiel, das das clevere Mörderduo nicht nur mit den Kommissaren, sondern vor allem mit der naiven Blondine treibt, fesselt bis zum Ende an den Fernsehsessel und gipfelt in einem dramatischen, hochspannend inszenierten Todeskampf auf dem zugefrorenen Weiher, der Perlmann auf dem brüchigen Eis Gelegenheit bietet, sich nachhaltig bei seinen Vorgesetzten ins Gedächtnis zu rufen.

Die verweigern ihm nämlich noch immer die überfällige Beförderung zum Hauptkommissar – und das, obwohl es der Blondschopf ist, der mit seiner akribischen Analyse eines Wasserfilters die Selbstmordtheorie entkräftet und dafür ein Sonderlob von Kollegin Blum erntet. Die glänzt wiederum mit einem Bluff, der ebenso beispielhaft für die angenehm bodenständige Ermittlungsarbeit steht und zugleich das I-Tüpfelchen auf den packenden Showdown im Krankenhaus setzt.

Und doch: Hätte der Internatsdealer Kevin Hausmann (Constantin von Jascheroff, Im Abseits) ein bisschen eher mit der Sprache rausgerückt, statt zehn Minuten vor Schluss in zwei Nebensätzen die entscheidenden Hinweise auf die Täter zu liefern – den Ermittlern wäre ein Großteil der mühsamen Nachforschungen erspart geblieben.

Diese kleine Drehbuchschwäche bleibt aber die einzige in einem gut durchdachten und erstklassig gespielten Tatort, der bis heute der beste vom Bodensee ist und nur haarscharf an der Höchstwertung vorbeischrammt.

Bewertung: 9/10

Kassensturz

Folge: 720 | 1. Februar 2009 | Sender: SWR | Regie: Lars Montag
Bild: SWR/Krause/Burberg
So war der Tatort:

Discounterkritisch.

Denn Regisseur Lars Montag (Hauch des Todes) und Drehbuchautor Stephan Falk (Herzversagen) nehmen in Kassensturz – der pfiffige Krimititel, der nicht zum ersten Mal in der Tatort-Geschichte verwendet wird, deutet es bereits an – die Billigsupermärkte ins Visier, in denen wir (fast) alle regelmäßig einkaufen und uns darüber freuen, ein paar Euro im Vergleich zu teureren Märkten zu sparen.

Die Frage, die wir uns dabei aber viel zu selten stellen: Wie kommen die günstigen Preise in den Discountern überhaupt zustande?

Und genau das ist in diesem Tatort der springende Punkt: Unabhängig von Billigproduktionen oder sonstigen Marktmechanismen rücken die Filmemacher jene Personen in den Mittelpunkt, auf deren Rücken der Preiskampf täglich ausgetragen wird und die knapp ein Jahr vor der TV-Premiere des Krimis durch den LIDL-Skandal ins Licht der Öffentlichkeit rückten.

Die überwiegend weiblichen Angestellten der Märkte sind die schwächsten Glieder in der Kette, arbeiten oft auf 450-Euro-Basis und schieben regelmäßig Überstunden, um das hohe Arbeitspensum bewältigen zu können.

In Kassensturz müssen sie außerdem den Tod ihres Chefs verkraften: Nach dem Tod des Ludwigshafener Gebietsleiters Boris Blaschke (Andreas Windhuis, Blutdiamanten), dessen Filialen der Discounterkette BILLY bundesweit am schlechtesten laufen, gehen die Hauptkommissare Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe) auf Spurensuche.

In einem seiner Läden treffen sie neben der überarbeiteten Filialleiterin Hannelore Freytag (Traute Hoess, Unter uns) auch die gestressten Angestellten Gisela Dullenkopf (Barbara Philipp, ermittelt ab 2010 als Magda Wächter im Tatort aus Wiesbaden) und Beate Schütz (Stefanie Stappenbeck, Willkommen in Hamburg), die mit dem gnadenlos-sadistischen Choleriker Günter Novak (Jan Henrik Stahlberg, Schneetreiben) kurz darauf Blaschkes Nachfolger vor die Nase gesetzt bekommen.


NOVAK:
Die Vertriebsleitung hat mir die verbliebenen drei Filialen übergeben. Willkommen in der Hölle! War nur 'n Spaß - mach ich aber auch nur ganz selten.


Der 720. Tatort ist eine hochinteressante und dabei stets glaubwürdige Milieustudie mit guten Einfällen (z.B. ein Verhör in einem Fahrgeschäft auf dem Jahrmarkt), zugleich aber ein spannender Krimi, der trotz der enttäuschenden Auflösung ("nach neuesten Erkenntnissen...") als Whodunit ebenso gut funktioniert wie als Denkanstoß.

Der Zuschauer lernt einige Erfolgstricks der streng auf Zeit- und Kostenersparnis fokussierten Discounter (z.B. mehrfach aufgedruckte Strichcodes, um an der Kasse wertvolle Sekunden zu sparen) und wird regelmäßig in den kargen Pausenraum der Mitarbeiter entführt, in dem sich die bedauernswerte Filialleiterin fix ein Fertiggericht aufwärmt – zweifellos der Höhepunkt ihres Arbeitstages, in dem private Konversation untersagt und die nächste Abmahnung nur eine Frage der Zeit ist.

Auch die Hierarchien innerhalb des (fiktiven) BILLY-Konzerns, dessen Name kaum zufällig dem eines IKEA-Verkaufsschlagers gleicht, werden stark herausgearbeitet: In einer klassischen Sandwichposition befinden sich die Gebietsleiter wie Novak ("Ich hab meine Familie seit fünf Wochen nicht gesehen."), die von der gefühlskalten Vertriebsleiterin Gesine Fuchs (Adele Neuhauser, ab 2011 als Major Bibi Fellner im Wiener Tatort im Einsatz) enormen Verkaufsdruck bekommen, und die Filialleiter wie Freytag, die die Anweisungen von oben an ihre wehrlosen Mitarbeiter weitergeben müssen.

Wäre diese Ausbeutung in einem Tatort aus Köln wohl stundenlang im Dienstwagen oder an der Wurstbraterei diskutiert worden, wird die gesellschaftskritische Debatte in Kassensturz auf ein gesundes Maß reduziert.

Deutlich störender ist die peinliche Eigenwerbung des Südwestrundfunks für seinen Radiosender SWR3, der am Rhein eine Schnitzeljagd veranstaltet und Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) von einem Treffen mit George Clooney träumen lässt: Ein furchtbar seichter und überflüssiger Nebenkriegsschauplatz, der die bedrückende Tonalität dieser ansonsten so starken Tatort-Folge immer wieder verstimmt.

Auch bei der Figurenzeichnung – insbesondere bei Novak und Fuchs – tragen die Filmemacher etwas zu dick auf, was dem hohen Unterhaltungswert aber kaum Abbruch tut. So ist Kassensturz bis heute eine der stärksten Folgen des später dramatisch nachlassenden Teams aus Ludwigshafen geblieben - nicht von ungefähr erhielt das Drehbuch eine Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis 2009.

Bewertung: 8/10