Satisfaktion

Folge: 678 | 28. Oktober 2007 | Sender: WDR | Regie: Manuel Flurin Hendry
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Studentisch. 

Denn Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) verschlägt es in Satisfaktion in eben jenen traditionsgeprägten Kreis, in dem er den angesehenen Status des "Alten Herrn" genießt und in den 90er Jahren regelmäßig verkehrte: in die älteste Studentenverbindung in Münster. 

Einst machte sich Boerne im fiktiven "Hanauer Kreis" dank seiner Qualitäten mit dem Degen einen Namen als "Zorro" – und staunt daher nicht schlecht, als er von Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) zum Fundort eines Skeletts in einem nahegelegenen Waldstück zitiert wird und dort auf seinen alten Weggefährten Gregor Baltus (Aljoscha Stadelmann, Altes Eisen) trifft, der bis heute in der Verbindung aktiv ist. Dass es sich auch beim Toten um einen früheren Corps-Studenten handelt, ist schnell ermittelt: Während Boerne sich kaum die Finger schmutzig macht, pult die bedauernswerte Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) die sterblichen Überreste von Raimund Stielicke aus dem Waldboden. 

Nicht zum ersten Mal wird der Professor im Tatort mit seinem eigenen Umfeld konfrontiert (vgl. Fakten, Fakten, Eine Leiche zuviel) – und auch bis zur Unkenntlichkeit verweste Leichen haben in Westfalen bereits Tradition (vgl. Der dunkle Fleck, Das ewig Böse). Der Ausflug ins Verbindungsmilieu ist ebenfalls nicht ganz neu: In Quartett in Leipzig ermittelten die ostdeutschen Kommissare Ehrlicher und Kain im Jahr 2000 gemeinsam mit den Kölner Kollegen Ballauf und Schenk in ganz ähnlichen Kreisen – und doch wirkt die Geschichte originell und unverbraucht. 

Satisfaktion ist aber noch aus einem zweiten Grund eine der interessanteren Tatort-Folgen aus Münster: Thiel muss um das Leben von "Vaddern" (Claus-Dieter Clausnitzer) bangen, der nach einem Zusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert wird und die Kritik seines Sohnes an seinem ungesunden Lebensstil humorvoll abschmettert.


VADDERN:
Wenn du jemanden zum Dranrumnörgeln brauchst, Junge, dann schaff' dir endlich 'ne Frau an.


Drehbuchautor Johannes W. Betz (Salzleiche) und Regisseur Manuel Flurin Hendry (Schutzlos) meistern den anspruchsvollen Spagat zwischen Komik und Tragik mit Bravour: Wenn der besorgte Thiel am Krankenbett seines angeschlagenen Erzeugers wacht, ist das ein rührender Moment und zugleich eine der seltenen Szenen, in denen es im Tatort aus Münster mal nachdenklicher wird und wir uns nicht mit oberflächlich skizzierten Figuren, einem seichten Erzählton und mal mehr, mal weniger plumpen Gags zufrieden geben müssen. 

Unter dem Strich macht dieser Handlungsfaden jedoch nur einen kleinen Teil am Geschehen aus und wird über das ehemalige Corps-Mitglied Dr. Leon Strobel (Thomas Clemens, Baum der Erlösung) eher unbeholfen mit den Ermittlungen im Mordfall verknüpft: Die Chance, den Figuren in dieser nie zu albernen Krimikomödie mehr Tiefgang zu verleihen, schöpfen die Filmemacher damit nicht aus. 

Für Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), die sich diesmal mit wenigen Minuten zufrieden geben muss, gilt das sowieso – Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) hingegen wird zwar erfreulicherweise nicht auf ihre Nikotinsucht reduziert, nervt im 687. Tatort aber mit permanenter Thiel-Tadelei und einer bis ins Lächerliche überzeichneten Anti-Haltung ("Baltus ist nicht vermisst, er ist weg, das ist alles!"), weil sie die Mordkommission in den elitären Verbindungskreisen nicht in Verruf bringen will. 

Auch in Sachen Spannung und Dynamik zählt Satisfaktion zu den schwächeren Folgen, punktet dafür aber mit einem großartigen Soundtrack (Playlist), zu dem In der Halle des Bergkönigs und zahlreiche deutsche Volkslieder zählen. 

Dass der Weg zur Auflösung, wer den Studenten vor zehn Jahren unter die Erde gebracht hat, nur über den angesehenen Professor Walter Stielicke (Michael Degen, Viktualienmarkt), seinen Sohn Karsten (Godehard Giese, Bluthochzeit) und dessen Frau Clara (Victoria Mayer) führt, ist spätestens nach der obligatorischen zweiten Leiche offensichtlich – dennoch behalten die Filmemacher für das Schlussdrittel einen Trumpf in der Hinterhand. Der Showdown ist dann buchstäblich großer Sport: Während Thiel den Täter stellt, tritt Boerne in einer knackigen Parallelmontage zur Mensur an – natürlich nicht, ohne beim Fechtkampf den standesgemäßen Schmiss davonzutragen.

Bewertung: 7/10

Der Traum von der Au

Folge: 677 | 21. Oktober 2007 | Sender: BR | Regie: Tim Trageser
Bild: BR/Bavaria/Erika Hauri
So war der Tatort:

Abschiedsschwer. 

Fast sechzehn Jahre lang hatte Oberkommissar Carlo Menzinger (Michael Fitz) den Münchener Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) in der öffentlich-rechtlichen Krimireihe treue Helferdienste geleistet, sich stets als zuverlässig erwiesen und selten geklagt – doch in Der Traum von der Au geht diese Tatort-Ära stimmungsvoll zu Ende. 

Millionenerbe Carlo verlässt die bayerische Landeshauptstadt gen Thailand, macht aber nicht nur aus seinem unerwarteten Abschied, sondern auch aus seinem ostasiatischen Reiseziel bis in die Schlussminuten ein großes Geheimnis. Der Zuschauer darf zumindest das eine oder andere Telefonat mehr mithören als die vollkommen ahnungslosen Batic und Leitmayr und ist den Hauptkommissaren damit eine Nasenlänge voraus (mal vorausgesetzt, er hat nicht vorher ohnehin schon in die Fernsehzeitung geschaut). 

Für die Ermittlungen im Mordfall gilt dies freilich nicht: Drehbuchautor Peter Probst (Jagdzeit) sorgt vor allem mit der verblüffenden Auflösung der Täterfrage für einen echten Paukenschlag, weil er das Tatmotiv bewusst zurückhält und sich eine besonders clevere Tötungsmethode einfallen lässt. Dass der ehemalige Hausmeister Grassl an einer Quecksilbervergiftung gestorben ist, wird schnell klar – aber wie ist das Gift bloß in seinen Körper gelangt? 

Die Antwort auf diese Frage ist zweifellos der beste Einfall im 677. Tatort, der ansonsten vor allem in seiner Ausgangslage reichlich konstruiert angelegt ist. Da wird der nächtliche Dialog zwischen Batic und der sympathischen Metzgerin Gerti (Johanna Bittenbinder, 1000 Tode) schnell zum Bumerang.


GERTI:
Ich schau ja jeden Abend die Serien von euren Kollegen!

BATIC:
Das hat oft nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun, gell?


Der Traum von der Au spielt in einem typischen Mikrokosmos; einem schmucken Wohnhaus im Münchener Au-Viertel und der daran angrenzenden Metzgerei, in der Batic und Leitmayr regelmäßig einkehren und den Fall diskutieren. 

Dass sich ausgerechnet Batic in diesem Wohnhaus kurz vor dem Mord eine luxuriöse Dachgeschosswohnung angeschaut und dabei den cholerischen Handwerker und Hauptverdächtigen Konrad Strobl (Fritz Karl, Bevor es dunkel wird) kennengelernt hat, ist als Drehbuchkniff ebenso unglaubwürdig wie überflüssig: Die sauber ausgearbeiteten Streitereien innerhalb der Hausgemeinschaft, die in einem spektakulären Autobombentod im Hinterhof gipfeln, funktionieren schließlich auch ohne diese persönliche Involvierung des Kommissars hervorragend. 

Dass mit Gerald Alexander Held (Mord in der ersten Liga) als herrlich rücksichtsloser Hausbesitzer Peter Bachinger das mit Abstand prominenteste TV-Gesicht nicht den Mörder mimt und Der Traum von der Au damit der ungeschriebenen Tatort-Regel widerspricht, ist eine weitere Stärke des Krimis – da ist es zu verkraften, dass die Spannungskurve eher flach ausfällt. 

Wer übrigens Sängerin Vaile Fuchs, die bereits ein Jahr zuvor in der ersten Saarbrücker Post-Palu-Folge Aus der Traum zu sehen war und den Titelsong beisteuerte, schon immer mal nackt sehen wollte, darf sich freuen: Die Blondine begrüßt den verdutzten Wohnungsbesichtiger Batic oben ohne im Hausflur und umgarnt Leitmayr und Menzinger in einem Hauch von Bademantel, der nur wenig der Phantasie überlässt. Gut, dass die Täterfrage deutlich weniger durchsichtig ist.

Bewertung: 7/10

Unter uns

Folge: 676 | 14. Oktober 2007 | Sender: HR | Regie: Margarethe von Trotta
Bild: HR/Bettina Müller
So war der Tatort:

Erschütternd bis ins Mark. 

Nicht wenige Zuschauer dürften beim Abspann von Unter Uns die eine oder andere Träne verdrücken – so wie es auch Hauptkommissarin Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) tut, die ja bekanntlich nah am Wasser gebaut ist. 

Kameramann Axel Block (Zabou) friert die geschlossenen Augen der Hauptkommissarin in der letzten Einstellung des Films bildlich ein und schlägt damit einen stimmigen Bogen zum fast hypnotisch wirkenden Auftakt des Krimis: Nach einer düsteren, zunächst rätselhaften Anfangseinstellung, die das erschütternde Finale früh andeutet, sitzt Sänger in Yoga-Stellung mit geschlossenen Augen auf dem Fußboden und meditiert, während wie in der Schlussminute die wunderschöne Ballade Sometimes I Feel Like A Motherless Child in der Version von Odetta erklingt. Ein stimmungsvoller Einstieg in einen bedrückenden, hochklassigen Tatort, der mehr Sozialdrama als klassischer Krimi ist und in einer tieftraurigen Schlusspointe gipfelt. 

Drehbuchautorin Katrin Bühlig (Schön ist anders) bringt in Unter uns das Kunststück fertig, zwei völlig verschiedene Kriminalfälle stimmig miteinander zu verweben und bereitet den Paukenschlag in der Schlussviertelstunde gezielt vor: Immer wieder hat man als Zuschauer den Eindruck, dass der Handlungsstrang um ein kleines Kind, dass angeblich in einer Wohnung in Sängers unmittelbarer Nachbarschaft leben soll, sich aber nie in der Öffentlichkeit zeigt, eigentlich der viel beängstigendere der beiden ist. Man ahnt Böses – doch weil Bühlig vordergründig die Geschichte eines Geiseldramas erzählt, kommt der Zuschauer erst spät dazu, seine Befürchtungen konsequent zu Ende zu denken. 

Was geschieht nur in der Wohnung von André Winterberg (herrlich verlottert: der Berliner Ex-Tatort-Kommissar Stefan Jürgens, Dagoberts Enkel) und seiner Frau Ines (stark: Susanne-Marie Wrage, Im Abseits), die arbeitslos vor sich hin vegetieren, ihre zwei pubertierenden Söhne nicht im Griff haben und ihren Alltagsfrust schon zur Mittagszeit in der Stammkneipe ertränken?


DELLWO:
Warum war das Fenster zugeklebt?

WINTERBERG: 
Weil wir keine Gardinen hatten.


Zur Botschaft, die der mit Unter Uns vortrefflich betitelte Tatort dem Zuschauer nach dem Abspann mit auf den Weg gibt, passt dieses leichtfertige Wegsehen ganz hervorragend: Niemand hat ein Ohr für Sängers neue Nachbarin, die achtjährige Ronja Kubitz (Charlotte Lüder), denn jedem – ihrer Mutter Bea (Ulrike Krumbiegel, Summ, summ, summ) und auch den Frankfurter Kommissaren Sänger und Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) eingeschlossen – schwirren andere Gedanken durch den Kopf, als auf die vermeintlichen Träumereien eines kleinen Mädchens zu hören. 

Auch das TV-Publikum kann diesen Aspekt leicht verdrängen, weil sich das Geschehen in den ersten zwei Filmdritteln weniger um die Winterbergs, sondern vielmehr um Geiselnehmer Wolfgang Kunert (charismatisch: Michael Brandner, Der Polizistinnenmörder) dreht: Arbeitslos, genervt und im Job-Center nach vierstündiger Wartezeit von der behäbigen Angestellten Heide Ganz (Lena Stolze, Bitteres Brot) zur Weißglut gebracht, dreht der Ex-Unternehmer durch, erschießt einen ihrer Kollegen und flüchtet mit der verängstigten Ganz im Auto vor der Polizei. 

Bemerkenswert ist hier vor allem die tolle Inszenierung der Affekttat: Regisseurin Margarethe von Trotta (Oscar-Nominierung für Das Versprechen) fängt das für alle Anwesenden nervtötende Reizklima im proppevollen Wartesaal messerscharf ein und weckt so beinahe Verständnis für die Verzweiflungstat, die der spätere Kidnapper schon im nächsten Moment wieder bereut. 

Als seine Flucht vor den Ordnungshütern erwartungsgemäß ein emotionales Ende findet, ist der 676. Tatort aber noch lange nicht vorbei: Die letzten Minuten zählen zum Bewegendsten, was die Krimireihe in ihrer bis dato fast vierzigjährigen Geschichte gesehen hat und machen spätestens bei den fast grotesk anmutenden Verhörszenen der Winterbergs unfassbar wütend. 

Hilflos, erschüttert und zutiefst bedrückt bleiben wir nach dem Abspann zurück – fassungslos angesichts der Grausamkeiten, die sich in den Jahren vor der Erstausstrahlung des Films in der Realität in ähnlicher Form abgespielt haben. 

Direkt Unter uns.

Bewertung: 10/10

Nachtgeflüster

Folge: 675 | 7. Oktober 2007 | Sender: WDR | Regie: Torsten C. Fischer
Bild: WDR/Stratmann
So war der Tatort:

Live und "On Air". 

Denn Nachtgeflüster ist nicht nur das zehnjährige Dienstjubiläum von Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) bei der Kölner Kripo, sondern zugleich eine Hommage an den wohl berühmtesten nächtlichen Radiotalker aller Zeiten: Jürgen Domian

Wie die Kölner Talklegende, die seit den 90er Jahren nachts im Radio zu hören und im WDR-Fernsehen zu sehen ist, geht auch Moderatorin Melissa Morgenstern (Annika Kuhl, Der Schrei) auf Sendung, wenn normale Arbeitnehmer längst friedlich in ihrem Bett schlummern. Und staunt nicht schlecht, als zur Geisterstunde ein Mann mit verzerrter Stimme anruft und ihr live in der Sendung den Polizistenmord gesteht, auf den Jubilar Ballauf und Kollege Freddy Schenk (Dietmar Bär) nur wenige Stunden zuvor angesetzt wurden. 

Eine prickelnde Ausgangslage mit enormem Spannungspotenzial – doch leider bleibt die vielversprechende Grundidee das einzig Positive in einem Kölner Tatort, in dem ansonsten fast überhaupt nichts stimmt. 

Kratergroße Logiklöcher, eine an Vorhersehbarkeit kaum zu überbietende Täterfrage und Figuren, die sich in ihrer Eindimensionalität förmlich überbieten: Nachtgeflüster ist trotz der soliden Inszenierung von Torsten C. Fischer (Ein ganz normaler Fall) bis zum kitschigen Finale, bei dem Ex-Lissy-Pütz-Darstellerin Anna Loos (Fette Hunde) im Rahmen eines Gastauftritts noch Werbung für die eigene Gesangskarriere machen darf, ein einziges Ärgernis.

Der unterwürfige, 30-jährige Radio-Praktikant Hendrik Fuchs (Oliver Bröcker, Keine Polizei) mit Deppenfrisur, der noch zu Hause bei Mama wohnt und seiner heimlichen Liebe im Sender den Kaffee anreicht, der kleinkriminelle, aber sympathische Dönerverkäufer Hakan Simsek (Aykut Kayacik, Auf der Sonnenseite), dem der Zuschauer trotz seiner illegalen Glücksspielereien nie wirklich böse sein kann, und nicht zuletzt die quotenfixierte Redakteurin Claudia Völker (Claudia Michelsen, Das Dorf), die (noch) ihre schützende Hand über Aushängeschild Melissa hält, aber letztlich doch nur Erfolg sehen will: Sämtliche Nebenfiguren triefen nur so vor Klischees und machen die Antwort auf die Täterfrage für jeden halbwegs krimierprobten Zuschauer zum Kinderspiel. 

Die allgegenwärtige Vorhersehbarkeit trifft aber nicht nur auf den Kriminalfall, sondern auch auf den halbherzigen Nebenhandlungsstrang um Freddys vermeintliche nächtliche Affäre zu: Wer ernsthaft glaubt, die Drehbuchautoren Jan Hinter und Stefan Cantz, normalerweise auf den Münster-Tatort abonniert, würden dem Familienvater und Publikumsliebling von heute auf morgen einen Seitensprung andichten, glaubt wahrscheinlich auch, dass die Polizei einem im Gebäude sitzenden Geiselnehmer in Seelenruhe ein paar Live-Minuten im Radio einräumt, statt das SEK zu rufen und sein Versteck im Keller des Hauses ausfindig zu machen. 

Da sind die platten Stammtischweisheiten, die Talkqueen Melissa ihren nächtlichen Anrufern für Liebesleben und Seelenfrieden mit auf den Weg gibt, noch das kleinste Übel eines Tatorts, der seine erfrischende Grundidee mit einem hanebüchenen Drehbuch (allein der Zufall im Parkhaus...) leichtfertig verschenkt.

Bewertung: 3/10