Das Glockenbachgeheimnis

Folge: 423 | 3. Oktober 1999 | Sender: BR | Regie: Martin Enlen
Bild: BR/MTM Cineteve GmbH/Laurent Trümper

So war der Tatort:


Liebevoll.

Das Glockenbachgeheimnis ist nämlich eine detailverliebte Hommage an das Münchener Stadtviertel, in dem Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) große Teile seiner glücklichen Kindheit verbrachte: das Glockenbachviertel. An jenen Bezirk also, der sich in den 60er Jahren zum Szeneviertel mauserte und in den vergangenen Jahrzehnten auch als Zentrum der Münchener Schwulen- und Lesbenszene für Aufsehen sorgte. 

Letzterer nähert sich der 423. Tatort selbst für das Jahr 1999 recht unbeholfen an: Für den verkrampften Hauptverdächtigen Paul Rochus (Michael Tregor, Tod auf der Walz), der mit Ende 40 noch bei seiner Mutter Elfriede (Doris Schade, Wenn Frauen Austern essen) wohnt und ein Verhältnis mit dem gut begüterten Mordopfer Lenny Martens (Mac Steinmeier, Und tschüss) führte, scheint das öffentliche Eingeständnis seiner homosexuellen Neigungen dem Untergang des Abendlandes gleichzukommen. Aber ist das plakativ mit Fliege, Pullunder und Mordmotiv ausgestattete Muttersöhnchen auch der Mörder? 

Die Antwort fällt leicht, denn die Fährte, die Drehbuchautor Friedrich Ani (A g'mahde Wiesn) im Mittelteil des Krimis auslegt, ist so offensichtlich falsch, dass sie das halbwegs tatorterprobte Publikum nie wirklich hinters Licht zu führen vermag. Macht aber nichts: Das Glockenbachgeheimnis, mit dem Regisseur Martin Enlen (Vorstadtballade) sein Tatort-Debüt feiert, hat andere Stärken. Neben der vor Lokalkolorit nur so strotzenden Verneigung vor dem Szenebezirk, der Leitmayr in Erinnerungen an seine verflossene Jugendliebe Susi schwelgen lässt, sind dies vor allem die ausführlich ausgearbeiteten Figuren und der starke Cast, aus dem vor allem Michael Tregor herausragt.

Tregor lotet den verklemmten Rochus facettenreich aus und zieht den Zuschauer mit seinem vereinnahmendem Spiel und der ungewöhnlichen Beziehung zur kranken Mutter – Hitchcock lässt grüßen – von Beginn an in seinen Bann. Auch Iris Berben (Mordauftrag), die 1999 zum zweiten und bis heute letzten Mal im Tatort zu sehen ist, weiß in der Rolle der im Viertel aufgewachsenen Frieda Helnwein zu überzeugen und nimmt Leitmayrs schwer verschossenen Kollegen Ivo Batic (Miroslav Nemec) gleichmal mit in die eigenen vier Wände. 

Dass Helnwein und ihre beste Freundin Doris Schellenbaum (Barbara M. Ahren, Frau Bu lacht) mehr wissen, als sie Batic zwischen Kaffee und blauer Satinbettwäsche verraten will, liegt auf der Hand; schließlich hüten die beiden gemeinsam mit Rochus Das Glockenbachgeheimnis, das in der ergreifenden Aufktaktsequenz des Krimis angedeutet wird und den markerschütternden Schlussakkord des Tatorts bildet. 

Den Kreis der Verdächtigen, dem der skrupellose Stadtteilarchitekt Feuerberg (Martin Umbach, Mördergrube) nie ernsthaft zuzurechnen ist, reduziert das entscheidend – und würde sich der Münchner Tatort nicht auch noch dem ungeschriebenen Gesetz, dass der prominenteste Nebendarsteller meist den Mörder mimt, unterwerfen, hätte aus Das Glockenbachgeheimnis ein echter Hochkaräter werden können. 

So punktet der 23. Einsatz von Batic und Leitmayr in erster Linie als authentisches, aber erst im Schlussdrittel wirklich spannendes Porträt eines Stadtviertels, um das sich bis heute viele Geheimnisse für japanische Touristen ranken. Der gebeutelte Carlo Menzinger (Michael Fitz) weiß davon ein Lied zu singen.

Bewertung: 8/10