Schwerelos

Folge: 946 | 3. Mai 2015 | Sender: WDR | Regie: Züli Aladag
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Schwerelos – denn im sehr treffend betitelten sechsten Dortmunder Tatort verlieren gleich mehrere Kommissare die Bodenhaftung.

Das liegt vielleicht auch daran, dass zum ersten Mal nicht Jürgen Werner, der die ersten fünf Dortmunder Tatort-Folgen von Alter Ego bis Hydra konzipierte, das Drehbuch schrieb: Das Skript stammt aus der Feder von Benjamin Braeunlich, der die Gefühlswelt der Ermittler und die sich daraus ergebenden Spannungen zur Antriebsfeder seiner Geschichte macht. Der aufzuklärende Mord an Fallschirmspringer Leo Janek (Florent Raimond) gibt in Schwerelos nur noch den erzählerischen Rahmen vor – so weit ging Werner bis dato nie, denn trotz aller privaten Störfeuer bildete der Kriminalfall bisher immer das Herz der Handlung.

Diesmal ist das anders: Schon der einleitende Leichenfund – bzw. Verletztenfund – ist rein zufälliger Natur, denn Hauptkommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) wird nicht etwa zum Tatort gerufen, sondern ist bereits vor Ort, weil sie sich in einem Krankenhaus nach ihrem abgetauchten Sohn erkundigen will. Später ist es dann Oberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel), die sich in eine Affäre mit Fallschirmspringer Jules Lanke (Albrecht Schuch, Allmächtig) stürzt und damit rasende Eifersucht bei ihrem Ex-Freund Daniel Kossik (Stefan Konarske) auslöst, mit dem sie sich das Büro teilt.

Private Probleme an allen Ecken und Enden: Im Mittelteil des Films spielt der Kriminalfall eine Viertelstunde lang überhaupt keine Rolle mehr, und spätestens, als Dalay und Janek aus luftiger Höhe ins kalte Wasser der Urfttalsperre springen und eine gemeinsame Nacht verbringen, geht es nur noch um das seelische Innenleben der Kommisarin. Dalays Affäre fehlt es allerdings an Spannungsmomenten, und auch Kossik tut immer das, was man als nächstes von ihm erwarten würde – so wirkt das Krimidrama recht formelhaft.

Dass der 946. Tatort trotzdem überzeugt, liegt daher weniger an einer kniffligen Auflösung der Täterfrage oder einer steilen Spannungskurve, sondern an anderen Qualitäten: In Schwerelos ist nicht ein finaler Aha-Moment, sondern der Weg dahin das Ziel.

Regisseur Züli Aladag (Erfroren) inszeniert einen ruhigen, aber kraftvollen Film, der in den Nebenrollen ansprechend besetzt ist und auch handwerklich in der ersten Liga spielt. Begleitet von einem atmosphärischen Soundtrack greifen die Filmemacher das titelgebende Schwerelos-Motiv vor der Kulisse trister Hochöfen immer wieder visuell auf: Ausgedehnte Kamerafahrten, toll fotografierte Base-Jumps und majestätische Aufnahmen aus der Vogelpespektive ziehen sich wie ein roter Faden durch den Tatort – auch wenn es Kameramann Yoshi Heimrath ein wenig übertreibt und auch die eine oder andere weniger bedeutende Szene durch perspektivische Spielereien künstlich überhöht.

Doch was ist eigentlich mit Hauptkommissar Peter Faber (Jörg Hartmann), der Bönisch & Co. (und auch so manchen Zuschauer) bei seinen bisherigen Einsätzen mit seiner Kotzbrocken-Attitüde das Fürchten lehrte?

Der gibt sich ungewohnt handzahm und zeigt sich als einziger Ermittler von einer bodenständigen Seite, die man zwar so noch nicht von ihm kannte, die ihm aber durchaus gut zu Gesicht steht. Das Enfant terrible der Krimireihe mausert sich schnell zum Ersatzvater für den kleinen Martin Janek (stark: Jungschauspieler Mats Hugo), der nach dem Tod seines Vaters kaum noch spricht, und zu dem auch seine Mutter Klara (Inez Bjørg David) keinen Zugang mehr findet.

Fabers typische Ego-Touren und bissige One-Liner sucht man aber bis auf wenige Ausnahmen ("Wieder vom Hochofen gehüpft heute Nacht?") vergeblich: Der exzentrische Ermittler reagiert sich diesmal nicht an seinen Kollegen, sondern beim Tennisspielen ab und bildet den Ruhepol des stimmungsvollen Krimidramas, in dem der Mordfall fast nur schmückendes Beiwerk ist.

Der WDR setzt seinen Weg damit fort und orientiert sich an der horizontalen Figurenentwicklung amerikanischer Erfolgsserien, deren Originalität der Dortmunder Tatort aber noch immer nicht ganz erreicht.

Bewertung: 6/10

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